Das Familientreffen
noch ehe sie den Mund geöffnet hatte, um ihn anzusprechen? Ich kann nur vermuten, dass es keine Rolle spielte, dass seine Zuneigung Phasen und Stadien durchlief (schließlich hatte er sie vor Viertel nach sieben noch verabscheut) und er jede davon in längeren – jahre- oder jahrzehntelangen – Zyklen von Neuem durchleben musste. Er musste sich von der Liebe zu einer Art Hohn voranbewegen, er musste von Abscheu befallen sein und von Verlangen berührt, musste eine letzte Bescheidenheit finden und so wieder mit der Liebe beginnen. Jedes Mal würde er mehr über sie wissen – vielleicht auch mehr über sich selbst -, und nichts von dem, was er erführe, würde den geringsten Unterschied machen. Um vierzehn Minuten nach sieben sind sie wieder da, wo sie angefangen haben.
Wie aber steht es um die Liebe?
Jetzt bewegt sich Nugent, ganz plötzlich. Er senkt die Stirn und reibt sich am Haaransatz. Ist es möglich, dass auch sie ihn liebt? Dass die beiden zu dem Augenblick zurückfinden, da sie zur Tür hereingekommen ist, und sich erheben über die kleinlichen Sorgen um Tausch und Verlust?
Ach ja , sagt die Seite von Adas traurigem Gesicht. Und sie denkt eine Weile über die Liebe nach.
Nugent spürt, wie sich tief an der Wurzel seines Penis etwas regt, die Zukunft oder der Beginn der Zukunft. Niemand unterbricht die beiden mehr. Irgendjemand in einem der oberen Zimmer hat das Zimmermädchen erwürgt, irgendjemand hat diese Marionette von einem Concierge auf einen Stuhl geschleudert. Zwischen ihnen liegen vier Meter Teppichboden. Während der Zeiger der Hoteluhr weiterrückt, leise knirscht und dann sirrend die Viertelstunde schlägt, denkt Nugent an seine anschwellende Eichel, die sich aus ihrem Hautsack schiebt, und Ada denkt über die Liebe nach.
Di di de di da!
Da da de di da!
Wiederbelebt und zur Pflicht gerufen, kommt der kleine Concierge mit einem niedrigen Schemel herbeigetrottet, den er unter einer der Wandlampen im Foyer aufstellt. Er trottet wieder hinaus und kehrt mit einem Fidibus zurück, den er in die Höhe hält. Im letzten Licht des Tages sieht die Flamme trübe aus. Er stellt sich auf den Schemel, nimmt den Lampenschirm ab, dreht den Gashahn auf, nestelt an dem Fidibus herum und vermag es gerade noch, die Flamme an das Gas zu halten, bevor es vollends zu spät ist. Das Gas faucht hohltönend und blau, ehe es sich in die gelbgrüne Glut des Gasstrumpfes verwandelt, das Licht wird schwächer und hüpft dann in den Raum hinaus. Das Foyer riecht ekelerregend nach Gas, gefolgt von dem warmen Geruch verbrannten Papiers, und von den flink flatternden Fingern des Mannes stieben schwarze Flocken. Er setzt den Lampenschirm wieder auf, rückt den Schemel unter die nächste Lampe und verlässt den Raum.
In seiner Abwesenheit pulsiert der Raum dunkler. Und noch dunkler.
Er kommt zurück. Nugent und Ada sehen ihm beide zu, wie er das Ritual von Lampe und Schemel wiederholt, seine Auftritte und seine Abgänge, seine gespenstische Wichtigtuerei, mit der er sich an der Wand entlang auf die vierte und letzte Lampe zubewegt, die über dem Stuhl hängt, auf dem Ada sitzt. Er stellt den Schemel neben ihre Füße, so als verbeuge er sich, und geht ruhig wieder davon. Nach einer längeren Pause kehrt er mit dem Fidibus zurück, den er auch an dem brennenden Kaminfeuer hätte entzünden können. Mag sein, dass er sich vor den beiden nicht bücken wollte, obwohl er keine Bedenken hat, Ada zum Aufstehen aufzufordern. Er bleibt vor ihr stehen, dreht den Fidibus hin und her, um die Flamme zu schützen und am Papier entlanglaufen zu lassen. Er blickt ihr ins Gesicht. Und wartet.
Adas Kleid raschelt von ihrem Schoß, als sie sich erhebt. Ebenso gut hätte es auch ganz zu Boden gleiten können, das Kleid hätte aus Wasser sein, um ihre Füße eine farbige Lache bilden können, so nackt wirkt sie jetzt. Nugent starrt sie unverhohlen an, während sie die Hände vor dem Schoß faltet und zu Boden blickt. Zuerst empfindet er Mitleid mit ihr, dann keines mehr. Endlich bewegt er sich, dort am Tresen, und findet Trost in dem Geruch, der mit einem Seufzer unter seinem Hemd entweicht. Gott sei Dank. Er kann nichts dafür.
An diesem Morgen ist er zur Frühmesse in der Pro-Cathedral gewesen. Mit anderen Männern hat er in der Schlange gestanden, um zur heiligen Kommunion zu gehen. Der Ausdruck in ihren Gesichtern war so hungrig wie der von Armen, die um Suppe anstehen. Und als er sich von den Knien erhob, tat er es wie ein
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