Das Familientreffen
ausgespült und auf die Stufe vor der Tür gestellt. Vielleicht wurde einer der Zwillinge aufs Töpfchen gesetzt und wieder in seinem Bett verstaut. Dann ging mein Vater in das Zimmer, in dem er mit meiner Mutter schlief. Sie war gewöhnlich schon dort und hatte seit halb zehn gelesen und geseufzt. Danach gedämpftes Gerede und das Geklirr, wenn er seine Schlüssel und Münzen ablegte. Das Klappern seiner Gürtelschnalle. Ein Schuh, der zu Boden fiel.
Stille.
In der Schule gab es Mädchen, deren Familien auf stattliche fünf oder sechs Kinder anwuchsen. Es gab Mädchen mit sieben oder acht Geschwistern – was bereits als leicht überdreht galt -, und dann gab es mitleiderregende Fälle wie mich, die Eltern hatten, die einfach hilflos waren und sich genauso natürlich fortpflanzten, wie sie schissen.
Statt vor Mammys Haus nach links biege ich nach rechts in die Straße, die zum Flughafen führt. Ich denke nicht darüber nach, wohin ich fahre, sondern an den Regen, den Blinker, das Schleifen der Scheibenwischergummis auf dem Glas. Ich denke an nichts – es gibt nichts, woran ich denken müsste. Und dann denke ich an einen Drink. Nichts Ausgefallenes. Ein scharfes Fläschchen Whiskey vielleicht oder einen Gin. In meinem schönen Saab 9.3 treibe ich dem Drink entgegen – treibe der Vorstellung entgegen, die sich in meinem Gaumen entfaltet.
Wenn ich das Haus verlasse, habe ich immer Durst – das hat etwas mit der Ungerechtigkeit dieses Ortes zu tun. Aber ich werde nicht trinken. Noch nicht. Als Kitty vorhin anrief, war sie so zugeknallt, dass ich nur ein idiotisches Jaulen in der Leitung hörte.
»Ogot. Ershin«, sagte sie. »Ershin. Erstot. Ohsfs. Hin.« Woraus ich entnehmen sollte, dass gerade in diesem Moment auch bei ihr eine Polizistin vor der Haustür gestanden hatte. Und ja, das Warten war wirklich schlimm, obwohl gar nicht mal so lang. Am erträglichsten ist es, das wollte ich ihr am Telefon sagen, am erträglichsten ist es, sich nach den schlechten Nachrichten zu betrinken und nicht schon vorher. Das ist ein Unterschied, wenn auch nur ein feiner, Kitty, aber wir halten ihn für wichtig. Hier draußen, in der wirklichen Welt, sind wir der Meinung, dass es ihn gibt. Fakten – Vermutungen. Tot – lebendig. Betrunken – nüchtern. Draußen in der Welt, die nicht die Welt der Hegartys ist, sind wir der Meinung, dass dies nicht dieselben Dinge sind.
Natürlich habe ich nichts dergleichen gesagt. Ich sagte: »Huh huh o Gott.«
Und sie: »Ch gejetz.«
Und ich: »Hoh hoh hoh o hoh Gott.«
Das ging so weiter, bis ein Mann ihr den Hörer aus der Hand nahm und in einem netten Südlondoner Akzent fragte: »Spreche ich mit Kittys Schwester?« Und ich musste höflich zu ihm sein und mich dafür entschuldigen, dass an diesem Donnerstagnachmittag mein Bruder gestorben war.
Ich merke, dass ich in die verkehrte Richtung fahre, deshalb mache ich an der Ampel halt, rufe meinen Mann Tom an und sage ihm, dass ich heute Abend nicht nach Hause komme. Ich will nicht, dass die Mädchen mich sehen oder sich um mich sorgen, bis ich diese Sache erledigt habe.
Er sagt, es werde schon wieder alles gut. Alles werde wieder gut. Seine Stimme zittert ein wenig, und ich spüre, wenn ich das Gespräch nicht beende, wird er mir noch sagen, dass er mich liebt, das wird er als Nächstes sagen.
»Schon gut«, sage ich. »Tschüss. Tschüss.« Und reihe mich in den Verkehrsfluss auf der Straße zum Flughafen ein.
Es ist etwas Wunderbares um den Tod: wie alles zum Stillstand kommt und alles, weswegen Sie sich für wichtig hielten, nicht im Entferntesten wichtig ist. Ihr Ehemann kann den Kindern etwas zu essen machen, er kommt mit dem neuen Herd zurecht, er kann die Würstchen im Kühlschrank also doch finden. Und sein wichtiger Geschäftstermin war gar nicht wichtig, nicht im Geringsten. Und die Mädchen werden von der Schule abgeholt und am nächsten Morgen wieder hingebracht. Ihre älteste Tochter vergisst ihren Inhalator nicht, Ihre jüngste wird ihre Turnsachen mitnehmen, und es ist genauso, wie Sie vermutet haben – alles, was Sie tun, ist meist einfach nur töricht, so richtig töricht. Sie nörgeln und jammern und räumen Leuten hinterher, die sogar zu faul sind, Sie zu lieben, sogar das, geschweige denn die eigenen Schuhe unter dem eigenen Bett zu finden; Leute, die sich umdrehen und Sie beschuldigen – manchmal sogar anschreien -, wenn sie nur einen Schuh finden.
Wie ich so die Straße zum Flughafen entlangfahre, kommen
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