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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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zog sich zurück, um seine Arbeit zu
machen.
    Ich ließ nicht locker. Aber wenn sie
die letzte Nacht noch im Schlafzimmer verbracht hatte, dann konnte sie
unmöglich aufs Land verreist sein, denn ich hatte sie ja heute nicht weggehen
sehen. Ohne daß ich es mitbekam, hätte sie allenfalls gestern in den frühen
Morgenstunden weggehen können. Da war ich eingeschlafen, hatte ein paar Stunden
verpaßt. Heute morgen war ich schon vor ihm aufgewesen. Als er vom Sofa
aufstand und ich seinen Kopf auftauchen sah, saß ich schon eine ganze Weile am
Fenster.
    Wenn sie weggegangen war, dann mußte
sie es schon gestern morgen getan haben. Warum hatte er dann bis heute morgen
die Rollos nicht hochgezogen, die Betten nicht gelüftet? Und vor allem, warum
hatte er die letzte Nacht nicht im Schlafzimmer verbracht? Das sprach dafür,
daß sie nicht weg war, sondern noch dort drinnen. Und heute, gleich nachdem der
Koffer abgeholt worden war, ging er hinein, zog die Rollos hoch, lüftete die
Betten und zeigte damit, daß sie nicht da drin gewesen war. Die ganze Sache
drehte sich irgendwie im Kreis, verrückt.
    Nein, überhaupt nicht. Gleich
nachdem der Koffer abgeholt worden war ...
    Der Koffer.
    Das war’s...
    Ich schaute nach hinten, um
festzustellen, ob die Tür zur Küche, wo Sam sich zu schaffen machte,
geschlossen war. Einen Augenblick lang schwebte meine Hand unentschlossen über
dem Telefon. Boyne, dem müßte man das Ganze erzählen. Der war bei der Polizei,
in der Mordkommission. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, jedenfalls
noch. Mir lag nichts daran, daß hier eine ganze Horde Polypen auftauchte und
herumschnüffelte. Ich wollte nicht weiter in die Sache verwickelt werden als
unbedingt nötig. Oder am liebsten überhaupt nicht.
    Nach einer Reihe von Fehlversuchen
hatte man mich endlich mit dem richtigen Apparat verbunden, und ich bekam ihn
an die Strippe.
    »Hallo, Boyne. Ich bin’s, Hal Jeffries .«
    »Na, wo hast du denn die letzten
zweiundsechzig Jahre gesteckt ?« begann er sehr herzlich.
    »Das erzähl ich dir später. Jetzt mußt
du erst mal was tun, nämlich dir ‘n Namen und ‘ne Adresse aufschreiben. Bist du
soweit? Lars Thorwald, Benedict Avenue fünf-zwei-fünf. Dritter Stock, Wohnung
zum Hof. Alles klar ?«
    »Dritter Stock, zum Hof. Ich hab’s. Und
wozu brauch ich das ?«
    »Um Nachforschungen anzustellen. Ich
hab das sichere Gefühl, daß du auf einen Mord stoßen wirst, wenn du anfängst,
da nachzubohren. Da drüben haben bis vor kurzem ein Mann und eine Frau gewohnt.
Jetzt ist nur noch der Mann da. Ihr Koffer wurde heute morgen abgeholt. Wenn du
jemanden findest, der gesehen hat, wie sie selbst weggegangen ist...«
    Jetzt, wo ich es laut aussprach, es
einem anderen, noch dazu einem Kriminalpolizisten geordnet darlegte, klang es
auch für mich selbst recht dürftig. Er meinte zögernd: »Gut, aber...« Dann gab
er sich mit dem zufrieden, was er erfahren hatte. Weil ich die Quelle war. Ich
ließ sogar mein Fenster völlig aus dem Spiel. Bei ihm konnte ich das, er ließ
es mir durchgehen, weil er mich seit Jahren kannte und wußte, daß er sich auf
mich verlassen konnte. Ich wollte nicht, daß sich bei dieser Hitze in meinem
Schlafzimmer Tag und Nacht Polypen drängelten, um vom Fenster aus etwas zu
erschnüffeln. Sollten sie die Sache doch von vorne angehen.
    »Na, wir werden sehen, was dabei
herauskommt«, meinte er. »Ich halte dich auf dem laufenden .«
    Ich legte auf und lehnte mich zurück,
um abzuwarten, was passieren würde. Ich hatte einen Tribünenplatz. Oder besser so
etwas wie einen seitenverkehrten Tribünenplatz. Ich saß hinter den Kulissen,
nicht davor. Ich konnte nicht zusehen, wie Boyne sich an die Arbeit machte.
Alles, was ich sah, waren die Ergebnisse - wenn es welche gab, falls es welche
gab.
    In den nächsten zwei Stunden tat sich
nichts. Die Arbeit der Polizei — ich wußte, daß sie etwas unternahmen — verlief
so unsichtbar, wie sich das für die Polizei gehört. Die Gestalt hinter dem
Fenster dort drüben im dritten Stock war die ganze Zeit über zu sehen, allein,
ungestört; wanderte von einem Zimmer ins andere, hielt sich in keinem länger
auf, ging aber nicht weg. Einmal sah ich ihn wieder etwas essen — im Sitzen
diesmal — dann rasierte er sich und versuchte sogar, die Zeitung zu lesen, doch
er blieb nicht lange dabei.
    Ein Mechanismus aus kleinen,
unsichtbaren Rädern hatte sich rings um ihn in Gang gesetzt. Noch winzig und
harmlos, nur ein Vorspiel. Ich fragte

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