Das Feuer des Daemons
1
Die Aufmerksamkeit eines Dschinns auf sich zu ziehen gilt im Allgemeinen nicht als etwas Gutes, Grace.
Die spitzen Worte der Babysitterin Janice hüpften in Grace’ Kopf umher wie ein Football auf dem Spielfeld. Dieser Football war zehn Yards von der Endzone entfernt, und zwei Teams von über hundert Kilo schweren NFL -Spielern stürzten sich mit der ganzen Inbrunst ihrer auf dem Spiel stehenden Millionen-Dollar-Karrieren darauf. Wenn dieser Football sprechen könnte, würde er wimmern: »Auweia. Gleich tut’s weh.«
Ungefähr so war für Grace der ganze Tag verlaufen, einschließlich der Vorahnung drohenden Unheils.
Also vielen Dank für die Wagenladung Sarkasmus, Janice.
Schließlich war es nicht Grace’ Entscheidung gewesen, dass der Dschinn in ihr Leben getreten war. Er war mit dieser Gruppe gekommen, die um halb vier morgens vor ihrer Tür gestanden hatte und keine gottverdammt anständige Zeit hatte abwarten können, um mit ihr zu reden.
Wahrscheinlich sollte sie aufhören, ihn »den Dschinn« zu nennen. Schließlich hatte er einen Namen. Khalil Irgendwas. Einem seiner Weggefährten zufolge war er Khalil Irgendwas-Wichtiges.
Grace hatte die vage Vermutung, dass sein Name Khalil Fluch-ihrer-Existenz lauten könnte, aber das wollte sie ihm lieber nicht ins … nun, ins Gesicht sagen. Wenn ihm gerade danach zumute war, ein Gesicht zu tragen. Sie wollte ihn nämlich nicht noch mehr provozieren, als sie es bereits getan hatte, und hoffte wirklich inständig, dass er sich jetzt, wo sich die ganze Aufregung gelegt hatte, langweilte und verschwinden würde.
Die Aufregung hatte sich doch gelegt, oder?
Das Töten.
Bis heute Morgen hatte sie noch nie mit angesehen, wie jemand getötet wurde.
Sie schob die Erinnerung beiseite. Im Augenblick musste sie sich um ihre Nichte und ihren Neffen kümmern, verflucht. Sie hatte keine Zeit, sich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen. Das würde verdammt noch mal warten müssen, bis Chloe und Max im Bett waren.
Vielleicht würde der Dschinn verschwunden sein, wenn sie mit den Kindern vom Einkaufen zurückkam. Hoffen konnte sie es. Grace konnte eine ganze Menge hoffen. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass der Supermarkt heute kostenlose Steaks verteilte und eine Herde Schweine mit den Fluglotsen vom Louisville International Airport einen Flugplan ausarbeiteten.
In Wahrheit hegte sie den Verdacht, dass der Dschinn ihnen zum Supermarkt gefolgt war. Sie konnte ihn nicht sehen, aber seit sie Max und Chloe ins Auto gesetzt hatte und zum
Super Saver
gefahren war, nahm sie seine rauchige Gegenwart am Rande ihres Bewusstseins wahr. Dieser beißende, übersinnliche Geruch ging ihr an die Nerven, so wie es Feuerwehrwagen taten, wenn sie mit kreischenden Sirenen die Straße entlangbrausten.
Es spielte keine Rolle, dass man das Feuer nicht sehen konnte. Man wusste trotzdem, dass irgendwo in der Nähe ein Unglück drohte.
Sie ergatterte einen Parkplatz nah bei den Einkaufswagen. Als sie aus dem Auto stieg, schlug ihr der feuchte, fünfunddreißig Grad warme Junitag entgegen. Binnen Sekunden klebte ihr das T-Shirt am Rücken, und sie hätte nichts lieber getan, als ihre schäbige Flanellhose über dem Knie abzureißen. Aber sie trug keine kurzen Hosen mehr, nicht einmal zu Hause. Den Anblick der Narben, die ihre Beine seit dem Autounfall entstellten, konnte sie nicht ertragen.
Grace holte einen Einkaufswagen und kehrte damit zu den wartenden Kindern zurück. Dabei sah sie im Fenster des Wagens flüchtig ihr Spiegelbild. Sie war durchschnittlich groß, Taille und Beine waren schlank, Brüste und Hüften wohlgerundet. Wenn es nach den familiären Erbanlagen ging, würde sie in den mittleren Jahren aufpassen müssen, dass diese Kurven nicht allzu üppig wurden.
Ihr kurzes, rotblondes Haar stand ihr in Büscheln vom Kopf ab, weil sie ständig mit den Händen hindurchfuhr. Die haselnussbraunen Augen wirkten matt, und ihre Haut war bleich vom Schlafmangel. Als sie die Hand auf ihr Spiegelbild im Fenster legte, bemerkte sie die dunklen Ringe unter ihren Augen.
Ich war mal hübsch,
dachte sie. Dann ärgerte sie sich über sich selbst, weil ihr so etwas wichtig war.
Scheiß auf hübsch. Ich bin lieber stark. Schönheit vergeht mit der Zeit, aber Stärke bringt einen durch harte Zeiten.
Und das war wichtig, denn manchmal waren die Zeiten verdammt hart.
Sie setzte erst Chloe in den Einkaufswagen und hob dann Max in seiner Babytrage hinein. Chloe rollte ihren zarten, vierjährigen
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