Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Fuizbuam
Dezember 1948
Als Karli den Kopf
hob, fiel ein Lichtstrahl auf sein Gesicht. Das Licht kam von hoch oben, dort,
wo fast an der Decke des Kellers ein kleines Fenster eingesetzt war. Die
Nachmittagssonne spielte mit den Eisblumen auf der Scheibe, das Licht brach
sich und sendete feine Strahlen auf den gestampften Lehmboden, wo die vier
Buben hockten. Im Schneidersitz auf zusammengefalteten Rupfensäcken.
Karlis Freund
Schorschi atmete tief durch und seufzte: »So was möchte ich können.
Glasschleifer möcht ich werden und Blumen machen, so wie die. Der Onkel hat’s
erzählt, irgendwo weit weg, in irgend so einem Wald da sitzen arme Leute, arm
wie wir, und machen Glas. Glas wie im Märchen.«
Hansl, der Dritte im
Bunde, wandte sich Schorschi zu. »Glasschleifer, du? Du warst noch niemals in
Weilheim, wie willst du da in irgendeinen Wald kommen? Bleib lieber bei uns.
Schnitzen wir halt was. Das kannst du doch so schön. Das ist ebenso gut wie
Glas.«
»Ja, schnitzen wir
was!«, rief Pauli.
»Und was wollen wir
schnitzen?«
Kurze Zeit war es
still, bis Karli leise sagte: »Tiere. Die Kathl sagt, Tiere können in diesen
Nächten sprechen. Schnitzen wir sprechende Tiere.«
Hansl gab ihm einen
Knuff. »Warst bei der Kathl. Da sollen die Kinder aber nicht hin. Die ist ‘ne
Hexe. Die kann die schwarze Kunst. Die war kürzlich bei der Mutter und wollte
sich ein Beil leihen. Die Mutter hätt ihr nie eins gegeben, weil sonst Pech ins
Haus kommt. Sie hat nicht mal lügen müssen. Wir haben eh keins.«
»Sie kann auch die
weiße Kunst. Sie hat meiner Schwester Anna die Warzen weggebetet.« Karlis Augen
glänzten, fast als hätte er Fieber. »Es ist mir egal, was die Erwachsenen
sagen. Ich mag die Kathl.«
Schorschi sah vom
einen zum anderen. »Jetzt streitet nicht. Ja, schnitzen wir Tiere.« Er warf
jedem der drei anderen ein Prügel Holz hin, und ehrfürchtig verteilte er drei
Schnitzmesser. »Die gehören dem Onkel Josef aus Oberammergau. Macht bloß nix
kaputt.«
Die Köpfe senkten
sich, bis Pauli nach einiger Zeit fragte: »Was schnitzt ihr eigentlich? Ich
mach einen Ochs.«
»Ich mach ein
Schaf«, sagte Schorschi.
»Und ich einen
Esel!«, rief der Hansl.
Karli sah die
Freunde an. »Das passt ja: Pauli der sture Ochs, Schorschi das ängstliche
Schaf, Hansl der gewitzte Esel.«
»Ja und du? Was bist
dann du?« Hansl stupste ihn mehrmals mit dem Holzstück in die Rippen.
Karlis funkelnde
Augen waren noch wilder als sonst. »Ich, ich bin ein Drache, ein Adler, ein
Ungeheuer.« Er fuchtelte mit seinem Messer.
»Depp!« Hansl war
mit solchen Reden nicht zu beeindrucken. »Außerdem ist bald Weihnachten: Ochs,
Esel, Schaf, das passt in die Krippe. Du musst was schnitzen, was in die Krippe
passt.«
Die anderen nickten.
»Ja, noch ein Schaf oder einen Hütehund, oder …?«
»Ein Kamel«, fiel
Hansl ein. »Das von den Weisen im Morgenland. Das passt zu dir. Ein großes Tier
aus der Wüste. Nix von hier. Du passt ja auch nicht zu uns. Wir Fuizbuam, der
Berliner Hansdampf und du, der Großbauer!«
Karli schoss hoch
und packte Hansl an seinen dünnen Handgelenken. »Was, ich pass nicht zu euch?
Ich denk, wir sind Freunde.«
»Klar sind wir
Freunde. Depp! Ich mein doch bloß. Ein Kamel ist schön und groß und anders und
edel, ja edel.«
Karli starrte Hansl
an, der wie immer ein wenig spöttisch schaute. Dann sah er in die
angstgeweiteten Augen von Schorschi, suchte Pauls stets neugierigen Blick und
lenkte schließlich ein. »Einverstanden, ein Kamel.«
Die Augen senkten
sich wieder auf die Stücke, bis Schorschi einwarf: »Machen wir morgen weiter.
Es ist fast dunkel und kalt, und die Eltern kommen bald aus Achberg zurück. Der
Vater mag’s nicht, wenn ich nichtsnutzige Dinge tu. Und schaut: Der Hansl hat
schon ganz blaue Finger.«
Hansl zuckte mit den
Schultern. »Ja, hab ich immer. Meine Handschuhe hat mein Bruder, der Hermann.
Den friert schneller als wie mich.«
»Und deine Knie sind
auch blau.«
Hansl legte seine
kleinen knochigen Finger auf die Knie und rieb sie ein wenig. »Hast du etwa
eine lange Hose für alle Tage?«
Schorschi schüttelte
den Kopf. »Bloß der Karli hat eine, oder sogar zwei?«
»Ja und? Also was
ist jetzt mit den Tieren? Schnitzen wir morgen weiter?«
»Natürlich!«, sagte
Pauli, und plötzlich ging ein Leuchten durch seine Augen. »Wir gründen eine
Bruderschaft, die Bruderschaft der unzertrennlichen Tiere.«
»Au ja, der
sprechenden unzertrennlichen
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