Das Filmbett
Umwelt seltsam unberührt geblieben war. Fast beschämt erkannte
er die Gleichsetzung des Essenstriebes mit dem Geschlechtstrieb als einen
Zustand der Unschuld im Gegensatz zur verkommenen Dekadenz beim Souper des
Grafen Kolowrat mit den anschließenden pervertierten Satyrspielen. Gerührt
gedachte er der gelassenen Unbetroffenheit Ludmillas bei der Diskussion über
die sexuelle Praktizierbarkeit ihrer provozierenden akrobatischen
Körperexponate. Und wie unangefochten von allen sie umgebenden Lastern und
Perversionen war dieses Geschöpf der minderen Schausteller- und Jahrmarktswelt
in seinem primitiven Behagen an gutem Essen und der unverdorbenen Freude am
genußreichen »Fegeln«, die sie zu einem menschlichen »Mordsappetit«
vereinfachte.
»Jekusch, hab’ ich jetzt an
Hunger«, meinte sie abschließend, und, statt erschöpft in die Kissen ihres
harten Hotelbettes zu sinken, wollte sie sich rasch wieder anziehen, denn nun
hatte sie das Bedürfnis, unbedingt den Würstelstand gleich an der Ecke der
Mariahilferstraße aufzusuchen, den »a Tschech« innehatte und dessen »Polnische«
fast ebenso gut waren wie die vom Pospischil in Mährisch-Brod.
Aber Bela wollte sie noch nicht
freigeben, so faszinierte sie ihn. Und da machte sie ihm — aber nur
ausnahmsweise, und weil er »ein soviel fescher Leitnant war« — und die Männer
alle gleich — , vor, in welcher ausgefallenen Position ihr »Votter«, — pardon —
ihr Stiefvotter, der Haderlump, der elendige, die exzentrische Balancekunst
ihres jungen Körpers ausprobiert hatte. Das gewagte Experiment, »das
Kunststickel« nannte sie es, hatte durchaus seinen neuartigen Reiz. Nur, es war
wirklich etwas unkommod für beide und mit den vorhergegangenen Genüssen der
böhmischen Speisekarte an Ergiebigkeit nicht zu vergleichen.
»So, des war die Draufgab’, jetzta
is Basta, Schluß der Vorstellung!« erklärte sie dezidiert — und man ging
gemeinsam zum »Tschech«, dessen Würstel tatsächlich, siehe oben...
Ludmilla wurde eine der ersten
Stummfilmkomikerinnen und ein Publikumsliebling. Sie arbeitete bei der
Sascha-Filmgesellschaft weiter, und ihr Erfolg nahm zu. Auch als der Erste
Weltkrieg gekommen war und das Reich nichts zu essen und nichts zu lachen
hatte. Sie hieß nicht mehr Ludmilla Navradil und auch nicht mehr Libussa, der
weibliche Schlangenmensch, sondern Mila de Navra und man kaufte ihre
Postkarten.
Der alte Kaiser starb — Frau
Sacher blieb. Die Monarchie hatte noch eine kurze Schonzeit.
Aber dann kam der Zusammenbruch,
die Revolution. Das große Reich wurde klein und arm. Den Attilas und Ulankas,
die längst feldgrau geworden waren, wurden die Epauletten abgerissen, der
Operettenglanz der Monarchie wurde Nostalgie und die demobilisierten Husaren
und Ulanen, ihres Heldenglanzes beraubt, waren in dem Elend der Nachkriegszeit
am elendsten daran. Man fuhr nicht mehr mit einer vollen Börse von Goldkronen
oder dem Guldenzettel vom Juden zum großen Mulatschag nach Wien, sondern
vierter Klasse, um Arbeit zu finden. So tauchte auch Bela in schäbig gewordenem
Zivil in der Donaustadt auf und suchte seinen Weg in die Ateliers der
Saschafilm. Und hier fand Mila ihren Bela wieder und verhalf ihm zu einem neuen
Beruf, der seinen Anlagen durchaus entsprach.
Mila de Navra hatte sich »seehr
gefreit, ihren Leitnant« gesund als demobilisierten Rittmeister wiederzusehen.
Bela stand mit dem Rücken zum
Fensterbrett der Garderobe und blickte anerkennend auf die Filmdiva, die sich
anschickte ihre Achselhaare zu rasieren. Bis auf lange Seidenstrümpfe und einen
hastig übergeworfenen Schminkmantel war sie nackt — und höchst erfreulich
anzuschauen, was sie sichtlich genoß. Der harte, durchtrainierte
Artistinnenkörper des Mädchens war weicher geworden, weiblicher, die vor Jahren
vielversprechende Leibespracht voll zur Blüte gelangt. Ja, sie war zweifellos
noch schöner als damals. Ihr Sex-appeal — ein neues Modewort — war nicht ohne
Grund über Schützengräben, Stör- und Trommelfeuer, Drahtverhaue und
Niemandsland hinweg bereits um die Welt gegangen.
Leise sagte Bela nach einer lange
Pause: »Wenn du mechtest wissen, wie geil ich beim Fegeln bin, mechtest du es
mit mir versuchen!« Ludmilla erinnerte sich verdutzt, hielt ein und platzte
dann lachend heraus: »Jekusch, der Herr Rittmeister kommt aus große Krieg ohne
gressere Verwundung heil heraus und denkt nur an Titschkerln. Husar bleibt eben
Husar. Ist sich verständlich — Natur will ihr
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