Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
Vom Netzwerk:
und
Hochsprache anstelle vergangenen spanischen Zeremonielles jede grammatikalische
Verrenkung so selbstverständlich, wie die Lippizaner in der Hofreitschule ihre
Pirouetten und Levaden vorführten.
    Eben wurde ihr gemeldet, daß Herr
Oberstleutnant Redl sein Séparée mit dem verdächtig geschminkten jungen
Kadetten nach leise geführter Konversation verlassen habe. Gott sei Dank,
seufzte Frau Sacher, deren menschenkennerische Intuition alarmiert war. Er
gefiel ihr nicht, der Herr Oberstleutnant Redl aus Prag, ganz und gar nicht.
Aber was vermochte sie gegen die Herren des Generalstabes und dessen
Geheimdienste. Nichts. Genauso wenig, wie sie die Ehebrüche unlösbar
Verheirateter verhindern konnte, war sie nicht in der Lage, etwas gegen den
militärischen Hochverrat zu tun, selbst wenn sie von einem solchen gewußt
hätte. Ihre Beziehungen zur Wiener Polizei waren zwar ausgezeichnet, gründeten
sich aber vorwiegend mehr auf ihre Diskretion als auf ihre allfällig notwendige
Indiskretion. Die österreichischen Aufmarschpläne gegen Rußland gingen also
gegen Judaslohn nach Petersburg zum Zaren, dessen handsigniertes Lichtbild
hinter ihrem Rücken an der Wand hing. Und Herr von Redl würde sich in Kürze
eine Kugel in die Schläfe jagen.
    Aufseufzend schloß sie ihre
Papiere ein und begab sich mit den zu engen Schuhen in der ringgeschmückten
Hand auf Strümpfen zur wohlverdienten Ruhe.
    Nun war nur noch der Kleine Salon
belegt, und dort ging es hoch her. Der Gastgeber war einer ihrer Lieblinge:
Alexander Graf Kolowrat, von seinen Freunden zärtlich Sascha genannt, ein
Aristokrat, der sich von dem österreichischen Hochadel unterschied. Zwar war
auch er ein Feudalherr, Sport-, Turf-, Frauen- und Kunstliebhaber,
Rennstallbesitzer, Clubpräsident — aber darüber hinaus ein moderner
Industriemagnat, ein investierfreudiger Unternehmer, an technischen
Innovationen interessiert, in vieler Hinsicht fachmännisch engagiert.
    Seine berühmten »Herrenabende«
fanden allmonatlich statt und pflegten sich durch die spezifischen weiblichen
Ehrengäste auszuzeichnen. Heute kam man von einem kollektiven Besuch des
renommierten Ronacher-Etablissements, dessen artistisches Programm aus
internationalen Weltnummern bestand, aber auch dem Nachwuchs der Varieté- und
Zirkuswelt Chancen gab. Und so war man als Offizier, Geschäfts- und Sportmann
diesmal statt mit den Koryphäen der Hofoper, des Ballettes oder des
Burgtheaters mit den Sternen der Artistik konfrontiert, u. a. einer
Zirkusreiterin der Hohen Schule, einer Volkssängerin, die gerade en vogue
geworden war und die »Pawlatschn« mit der großen Music-Hall-Bühne vertauscht
hatte, einer Parterreakrobatin, einer Panneautänzerin, die auf dem Rücken eines
Zirkuspferdes ihre klassische Spitzenballettkunst darbot, und anderem
»Fahrenden Volk«, das sich jäh aus dem Wohnwagen, der Roulotte und aus den Varietéepensionen
in einen Speisesaal von funkelnder Eleganz versetzt sah — und durchaus keine
schlechte Figur machte, so sehr es auch vielfachen Verlegenheiten ausgesetzt
war.
    Nach einem solennen Souper mit
hitzigen Tischgesprächen über Theater- und Kulissentratsch war man zum »bunten
Teil« übergegangen. Die Volkssängerin gab mit Erfolg eine Imitation ihrer
berühmten, im Wahnsinn gestorbenen Vorgängerin Mansfeld zum besten, von der man
behauptete, allein ihre Vortragskunst habe aus einem Vaterunser eine obszöne
Darbietung zu machen gewußt.
    Danach geriet man in eine Debatte
über die Grenzen und die Fragwürdigkeit der ästhetischen Reize weiblicher
Akrobatik, und die hübsche rotblonde Contorsionistin, die bereits in der
Vorstellung bei den Varietéhabitues Aufsehen erregt hatte, zögerte nicht, die
umstrittenen Werte und Qualifikationen hautnah und anschaulich der Überprüfung
zu stellen.
    Schnell war die Tafel freigemacht
von den Obstresten der silbernen Tutti-frutti-Körbe, den kaltbeschlagenen
Bechern der Eisdelikatessen, den zierlich bedruckten plissierten
Papiertellerchen der Petit Fours, den Überbleibseln der Confiserien, den
halbvollen Sektkelchen, dunkelfarbenen Likörgläsern und Mokkatassen. Das
Bedienungspersonal wurde aus dem Salon gewiesen, soweit es dieses nicht
erfahrungsgewitzt von selbst verlassen hatte.
    Die Akrobatin — offensichtlich
böhmisch-mährischer Herkunft — , die, nachdem sie sich ihres Kleides entledigt
hatte, zwischen den letzten Streublümchen der Tafeldekoration sich zu
produzieren anschickte, war eine fast noch kindhafte, aber

Weitere Kostenlose Bücher