Das Filmbett
Künstlernamen zugelegt hatte, der nicht weiter interessant ist, weil er bald einem anderen weichen sollte, der weltbekannt wurde.
Ludmilla gehörte zu einer artistischen Berufsgruppe, die man Schlangen- oder Kautschukmenschen nannte, Akrobaten, die scheinbar knochenlos ihren Körper durch frühes Training in anatomisch unfaßbare Positionen zu bringen vermögen. Sie kam aus der traditionsreichen Schule des österreichischen Schaustellers Klischnigg, der es in dieser Sparte der Parterreexzentrik zu Weltruhm gebracht hatte. Eine Contorsionistin, ein weiblicher Klischnigg, war auf allen Varietebühnen, Cabaretpodien und in allen Zirkusmanegen nicht allein aus artistischen Gründen, sondern auch als hintergründiger Schaureiz sehr gefragt.
Sie trug nunmehr eine kurze geschnürte Corsage, die bei ihren Spreizungen, Dehnungen und Verrenkungen die jungen Brüste wie Äpfel aus dem Obstkorb kullern ließ, und statt ihrem Artistenmaillot eine Unterhose aus Battist mit einem bescheidenen Spitzenrand, die aber rückwärts keine Klappe aufwies, sondern im Schritt offen war. Ihre schwarzen Halbseidenstrümpfe gingen zwar bis über die Knie, wurden aber unterhalb derselben von Strumpfbändern gehalten, deren glitzernde Zier darauf hinwies, daß sie nicht unbedingt nur zweckbedingte Aufgaben hatten.
In diesem Aufzug waren ihre Darbietungen, die sie mit dem gesammelten Ernst des Profis vortrug, so provokant, daß sich die Bemerkungen der Herren unverzüglich darauf zu richten begannen, ob die so demonstrativ dargebotenen und zu Tage tretenden Verlockungen und Verheißungen in dieser exzentrischen Position auch praktikabel seien. Man debattierte diese Frage ganz sachlich ohne anstößige Deutlichkeit, während der hübsche Kopf des Mädchens zwischen ihren Schenkeln auftauchte, während sie weiterhin, quasi auf den ausgestreckten Händen stehend, ein Bein um ihren Hals legte, dann das andere Bein dazu, und sich ihre Hose im Schritt spaltete, so daß rotblonde Flämmchen aus ihr züngelten.
Aber während man noch darüber diskutierte, sotto voce und ohne schmieriges Grinsen, gab Ludmilla bereitwillig Auskunft, unbefangen und ebenso sachlich, wie es Artisten bei ihrer Schwerarbeit ziemt.
Zwischen ihren extremen Stellungen, die allerdings den Gesetzen der griechischen Kallisthenie kaum entsprachen, obwohl man sie auf antiken Vasenbildern zu sehen bekommt, und die sie in verlangsamtem Tempo, heute würde man sagen in Zeitlupe, einzunehmen begann, wobei das Knacken ihrer Gelenke deutlich zu hören war, meinte sie, ganz auf ihre Tätigkeit konzentriert, fast teilnahmslos: »Bitta scheen, möcht' schon geh'n, was die Herren meinen, ist sich nur sehr unbequem. Ist besser nur Ansehen zur gefälligen Erregung, aber schwierig bei gnädiger Benitzung. Auch für Frau sehr unkommod und beschwerlich, weil sie muß sich ganz still verhalten und kann sich wegen fehlender Balance wenig rihren, wenn sie die Bemihungen der Herren mechte entgelten wollen. Ist aber gutes Training fir eine Kinstlerin, wenn sie genommen wird in solcher Situation. Gute Ibbung für Selbstbeherrschung, Standfestigkeit und Gleichgewicht, sagte immer mein Papa, wenn er mich bei solcher Gelegenheit ...«
Sie vollendete ihren Satz nicht und hatte auch gerade eine besonders spektakuläre Stellung erreicht. Nur nach dem einsetzenden Applaus ihres beeindruckten Publikums glaubte sie leise hinzufügen zu müssen: »War aber nur Stiefvater - nicht echter Papa ...« Das hörten jedoch die wenigsten, so fasziniert war man von der optischen Impression.
Graf Kolowrat lächelte, an den Kamin gelehnt, vor sich hin und sog an einer der Zigaretten mit mazedonischem Tabak und goldenem Mundstück, die von der k. u. k.-Tabakregie eigens für ihn hergestellt wurden. Er nippte an seinem Whisky, einem Getränk, dem die damalige Lebewelt kein Verständnis entgegenzubringen wußte.
Ludmillas zweifelloser Erfolg ließ die Zirkusreiterin nicht ruhen. Mit schriller Stimme suchte sie das Interesse auf sich zu ziehen und verlorenes Terrain wieder gutzumachen. Sie war eine zeittypische Fausse maigre mit schmaler Taille und schwellenden Hüften und gehörte zu einer ungarisch-italienischen Reitertruppe, die untereinander verschwistert und verschwägert und, durch immer wieder neue Generationen aufgefrischt, sich noch fünfzig Jahre behauptete, bis sie sich in den Wirren des Zweiten Weltkrieges auflöste.
Schon halbtrunken versuchte sie lallend in einem unbeschreiblichen Sprachgemisch zu erklären,
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