Das Flüstern der Nacht
zerquetscht.
»Jeder Mann in Krasia kümmert sich um sie«, versetzte Qeran und deutete mit einem Kopfnicken zur Tür, »wenn er in der Nacht
sein Blut vergießt, um sie zu schützen, während sie um ihren jämmerlichen Sohn weint.«
Sie marschierten die Straße hinunter in Richtung des Großen Basars. Jardir kannte den Weg gut, denn obwohl er kein Geld hatte, schlenderte er oft über den Markt. Die Aromen der Gewürze und Parfums vermischten sich zu einem berauschenden Duft, und mit Vorliebe betrachtete er die Speere und tückisch gekrümmten Klingen in den Buden der Waffenschmiede. Manchmal raufte er sich mit anderen Jungen und bereitete sich auf den Tag vor, an dem er ein Krieger würde.
Die dal’Sharum betraten nur selten den Basar; solche Orte waren unter ihrer Würde. Frauen, Kinder und khaffit huschten in alle Richtungen, um den Exerziermeistern aus dem Weg zu gehen. Jardir beobachtete die Krieger aufmerksam und bemühte sich, ihr Auftreten nachzuahmen.
Eines Tages, dachte er, werde ich derjenige sein, dem die anderen vor lauter Angst Platz machen.
Kaval blickte auf eine mit Kreide beschriebene Tafel, dann schaute er zu einem weiträumigen Zelt, das über und über mit bunten Fahnen geschmückt war. »Hier sind wir richtig«, stellte er fest, und Qeran gab einen Grunzlaut von sich. Jardir folgte ihnen, als sie die Zeltklappe anhoben und einfach eintraten, ohne sich vorher anzukündigen.
Im Inneren des Zeltes roch es nach Weihrauch, und es war dick mit Teppichen ausgelegt; man sah Stapel von Seidenkissen, Gestelle, über denen Teppiche hingen, bemalte Keramik und andere Schätze. Jardir fuhr mit einem Finger einen Ballen aus Seidenstoff entlang und erschauerte bei der Berührung; das Material fühlte sich unglaublich glatt und weich an.
Meine Mutter und meine Schwestern sollten Kleider aus diesem Stoff tragen, sagte er sich. Er blickte an seinen gelbbraunen Pluderhosen und der Weste hinab, beide zerrissen und schmutzig, und sehnte den Tag herbei, an dem er die schwarzen Gewänder eines Kriegers anlegen durfte.
Eine Frau am Verkaufstresen stieß einen schrillen Schrei aus, als sie die Exerziermeister sah, und gerade als Jardir zu ihr hinüberschaute, zog sie den Schleier vor ihr Gesicht.
»Omara vah’Haman vah’Kaji?«, fragte Qeran. Die Frau nickte, die Augen vor Furcht weit aufgerissen.
»Wir sind gekommen, um deinen Sohn Abban abzuholen«, erklärte Qeran.
»Er ist nicht hier«, behauptete Omara, doch ihre Augen und Hände, die einzigen Stellen ihres Körpers, die unter dem dichten, schwarzen Tuch noch zu sehen waren, zitterten. »Ich habe ihn heute früh losgeschickt, um Waren auszuliefern.«
»Durchsuche den hinteren Teil«, forderte Qeran Kaval auf. Der Exerziermeister nickte und steuerte auf die lose Trennwand hinter dem Tresen zu.
»Nein, bitte!«, jammerte Omara und vertrat ihm den Weg. Kaval fegte sie achtlos zur Seite und verschwand im hinteren Bereich des Zeltes. Weiteres Jammern und Kreischen ertönte, und im nächsten Moment tauchte der Exerziermeister wieder auf, wobei er einen Knaben hinter sich herzerrte; der Junge trug ebenfalls gelbbraune Pluderhosen sowie eine Weste und Kappe in derselben Farbe, obwohl sie aus einem viel feineren Stoff geschneidert waren als die Sachen, die Jardir anhatte. Er war vielleicht ein, zwei Jahre älter als Jardir, stämmig und wohlgenährt. Eine Reihe von älteren Mädchen folgte ihm nach draußen, zwei in gelbbrauner Kleidung, drei weitere mit den schwarzen Kopfbedeckungen, die von unverheirateten Frauen getragen wurden.
»Abban am’Haman am’Kaji«, donnerte Qeran, »du wirst jetzt mit uns kommen und uns in den Kaji’sharaj begleiten, um deinen Hannu Pash zu finden, den Weg, den Everam dir vorherbestimmt hat.« Der Junge schlotterte vor Furcht, als er das hörte.
Omara heulte auf, klammerte sich an ihren Sohn und versuchte, ihn an sich zu ziehen. »Bitte!«, beschwor sie die Männer. »Er ist doch viel zu jung. Noch ein Jahr, ich flehe euch an!«
»Schweig still, Weib!«, schnauzte Kaval und stieß sie zu Boden. »Der Junge ist jetzt schon alt und fett genug. Wenn man ihn dir noch einen einzigen Tag überließe, würde er als khaffit enden, wie sein Vater.«
»Du kannst stolz sein, Weib«, meinte Qeran. »Man gibt deinem Sohn die Chance, etwas Besseres zu werden als sein Vater und Everam und dem Kaji zu dienen.«
Omara ballte die Fäuste, aber sie blieb liegen, wo sie hingestürzt war, senkte den Kopf und weinte leise vor sich hin. Keine
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