Das Flüstern der Stille
an und schleiche mich aus dem Zimmer. Ich werde nur schnell Hallo sagen und gleich wieder zurückkommen.
Calli
Calli und ihr Vater waren schon eine ganze Weile unterwegs, aber Calli wusste genau, wo sie sich in diesem großen Wald befanden. Sie waren in der Nähe vom Beggar’s Bluff Trail, wo rosafarbene Schildblumen zwischen den Farnen und Binsen wuchsen und wo Calli oft schlanke, wunderschöne Pferde ihre Besitzer graziös durch den Wald tragen sah. Sie wünschte sich, dass eine zimtfarbene Stute oder ein schwarz gefleckter Appaloosa durch die Bäume brechen und ihren Vater zur Räson bringen würde. Aber es war Donnerstag, und in der Woche begegnete sie selten einem anderen Menschen auf den Wegen nahe ihrem Haus. Es gab eine geringe Chance, dass sie auf einen Park Ranger treffen würden, aber die Park Ranger hatten über fünfundvierzig Kilometer Wege zu bewachen. Calli wusste, dass sie auf sich allein gestellt war, und ergab sich in ihr Schicksal, von ihrem Vater durch den Wald gezerrt zu werden. Sie waren nicht einmal in der Nähe von Deputy Sheriff Louis’ Haus. Calli konnte sich nicht entscheiden, ob das gut oder schlecht war. Schlecht war jedenfalls, dass ihr Vater keine Anstalten machte, seine Suche aufzugeben, und dass Callis bloße Füße schon ganz zerkratzt waren von dem steinigen, unebenen Weg. Gut war, dass ihr Vater, einmal an Deputy Louis’ Haus angekommen, unverzeihliche Dinge sagen würde, und dass Louis dann versuchen würde, ihn zu beruhigen und Callis Mutter anzurufen. Seine Frau würde hinter ihm in der Tür stehen, die Arme verschränkt, während ihr Blick panisch umherschweifte, um sicherzugehen, dass niemand das Spektakel beobachtete.
Ihr Vater sah nicht gut aus. Sein Gesicht hatte die Farbe von Blutkraut, dieser filigranen Frühlingsblume, die ihre Mutter ihr auf einem der Spaziergänge durch den Wald gezeigt hatte; sein Haar hatte das kupferne Rot des Safts der verletzten Wurzeln. Ab und zu, wenn er über eine hochstehende Wurzel stolperte, umklammerte er Callis Arm fester, während er leise vor sich hin fluchte. Calli wartete ab, wartete auf den perfekten Augenblick, um sich loszureißen und zu ihrer Mutter nach Hause zu laufen.
Sie kamen auf die Lichtung namens Willow Wallow zu. Direkt neben dem Bach standen sieben Trauerweiden in einem perfekten Halbkreis. Die Legende besagte, dass die Bäume von einem französischen Siedler hergebracht worden waren, einem Freund von Napoleon Bonaparte, als ein Geschenk des großen Generals, dessen Lieblingsbäume sie waren.
Callis Mutter war eine Frau, die mit ihren Kindern auf Bäume kletterte und in den Ästen saß, während sie ihnen Geschichten über ihre Ururgroßeltern erzählte, die um 1800 aus der Tschechoslowakei in die Vereinigten Staaten immigriert waren. Ihre Mutter würde ein Lunchpaket mit Erdnussbutter-Sandwiches und Äpfeln packen und mit ihnen zum Willow Creek gehen. Sie würden über die mit Moos bewachsenen, schlüpfrigen Steine hüpfen, die im Bach verteilt lagen. Dann würde Antonia eine Decke unter den tief herabhängenden Zweigen einer Weide ausbreiten, und sie würden in den Schatten krabbeln, eingehüllt von den rankigen Ästen wie in einen Mantel. Aus den Weiden wurden dann Hütten auf verlassenen Inseln; Ben war damals, als er noch Zeit für so etwas hatte, ein mutiger Seemann, Calli sein verlässlicher erster Maat. Antonia, der Pirat, der sie verfolgte, würde mit kehliger Stimme und hartem Akzent hinter ihnen herrufen: „Hey, Landratten, ergebt euch, und ich erspare euch die Planke!“
„Niemals“, würde Ben zurückrufen. „Du wirst uns schon an die Haie verfüttern müssen, bevor wir uns jemandem wie dir ergeben, pockennarbiges Bartgesicht.“
„So sei es! Bereitet euch darauf vor, mit den Fischen zu schwimmen!“, rief Antonia und schwang einen krummen Ast.
„Lauf, Calli!“, schrie Ben, und Calli lief. Mit ihren langen, blassen Beinen, übersät mit blauen Flecken, weil sie ständig auf Bäume kletterte und über Zäune sprang, würde sie so lange rennen, bis Antonia schwer atmend stehen blieb und die Hände auf die Knie stützte.
„Waffenstillstand, Waffenstillstand“, würde ihre Mutter lauthals betteln. Alle drei würden sie dann wieder in ihre Weidenhütte zurückkrabbeln, sich ausruhen und Limonade trinken, während der Schweiß in ihren Nacken langsam trocknete. Antonias Lachen würde tief aus ihrem Bauch heraussprudeln, frei und ungezwungen. Sie würde ihren Kopf zurückwerfen und ihre Augen
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