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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Lichter, hu-schende, flackernde. Ich hörte Scharren, als würden Möbel über den Boden geschoben.
    Würde ich noch rechtzeitig in den Sockel der Freiheitsstatue kommen? Ich schlich gebückt an den Vitrinen mit den Zügen entlang und war gleich darauf im Seitenschiff neben 690
    der Statue von Gramme. Auf einem hölzernen Podest in Ku-busform (der kubische Stein von Hesod!) erhob sie sich, wie um den Eingang zum Chor zu bewachen. Von hier war es nur noch ein Katzensprung bis zu meinem Versteck.
    Die Vorderseite des Podests war aufgeklappt, so daß eine Türöffnung entstand, die den Ausgang eines geheimen Ganges darstellen mochte. Und tatsächlich kam dort jemand mit einer Laterne heraus — vielleicht einer Gaslaterne, mit bunten Scheiben, die sein Gesicht in rötlichen Flammenschein tauchten. Ich drückte mich in einen Winkel, und er sah mich nicht. Ein anderer kam aus dem Chor auf ihn zu. »Schnell«, sagte er leise, »in einer Stunde sind sie da.«
    Das war also die Vorhut, die etwas für den Ritus vorberei-ten sollte. Wenn es nicht viele waren, konnte ich unbemerkt die Freiheitsstatue erreichen, ehe die anderen kamen, wer weiß woher und zu wie vielen. Ich blieb lange in meinem Winkel und verfolgte die Bewegungen der Laternen in der Kirche, den periodischen Wechsel der Lichter, die Momente der größeren und geringeren Helligkeit. Ich kalkulierte, wie weit sie sich von der Freiheitsstatue entfernten und wie lange diese im Dunkeln bleiben mochte. Schließlich setzte ich alles auf eine Karte, huschte links unter die Statue von Gramme — an die Wand gepreßt mit eingezogenem Bauch, zum Glück war ich dünn wie ein Nagel. Lia... Und schlüpfte in den Sockel der Freiheitsstatue.
    Um mich noch unsichtbarer zu machen, kauerte ich mich am Boden zusammen, in einer fast embryonalen Position.
    Mein Herz pochte schneller, meine Zähne klapperten.
    Ich mußte mich entspannen. Ich atmete rhythmisch durch die Nase und steigerte langsam die Intensität der Atemzüge.
    So kann man, glaube ich, unter der Folter beschließen, ohn-mächtig zu werden, um sich dem Schmerz zu entziehen.
    Tatsächlich fühlte ich mich langsam in die Arme der Unterirdischen Welt versinken.
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    Unsere Sache ist ein Geheimnis in einem Geheim-
    nis, das Geheimnis von etwas, das verhüllt
    bleibt, ein Geheimnis, das nur ein anderes Ge-
    heimnis erklären kann, ein Geheimnis über ein
    Geheimnis, das sich mit einem Geheimnis befrie-
    digt.
    Ga’far al-Sadiq, sechster Imam
    Langsam kam ich wieder zu mir. Ich hörte Geräusche, ein helleres Licht schreckte mich auf. Meine Füße waren steif geworden. Ich versuchte mich langsam aufzurichten, ohne Lärm zu machen, und es kam mir vor, als stünde ich auf einem Teppich aus Seeigeln. Die kleine Seejungfrau. Ich machte ein paar lautlose Bewegungen, beugte mich nach rechts und nach links, und als ich feststellte, daß mein Versteck weitgehend im Dunkeln geblieben war, gelang es mir allmählich, wieder Herr der Lage zu werden.
    Das Kirchenschiff war hell erleuchtet. Es waren die Laternen, aber nun waren es Dutzende und Aberdutzende, getragen von den Zusammengeströmten, die sich hinter mir drängten. Sicherlich aus dem Geheimgang gekommen, strömten sie links von mir in den Chor und ins Kirchenschiff. Mein Gott, sagte ich mir, die Nacht auf dem Kahlen Berge, Version Walt Disney.
    Sie lärmten nicht, sie murmelten nur, aber alle zusammen produzierten ein lautes Brummen und Rauschen, wie die Komparsen in der Oper: Rhabarber, Rhabarber.
    Links von mir waren die Laternen im Halbrund auf den Boden gestellt, so daß sie mit einem abgeflachten Halbkreis das östliche Halbrund des Chores vervollständigten und am südlichsten Punkt dieses Pseudo-Halbkreises die Statue von Pascal berührten. Dort drüben hatte man ein brennendes Kohlebecken hingestellt, auf das jemand Kräuter und Essenzen warf. Der Rauch drang bis in mein Versteck, legte sich mir auf die Kehle und verursachte mir ein Gefühl von über-692
    reizter Betäubung.
    Im Schwanken der Laternen bemerkte ich, daß sich im Zentrum des Chors etwas regte, ein schmaler und schwirrender Schatten.
    Das Pendel! Das Pendel schwang nicht mehr an seinem gewohnten Ort auf halber Höhe des Kreuzgewölbes. Es hing jetzt, größer als sonst, am Schlußstein in der Mitte des Chors.
    Die Kugel war größer, der Faden war dicker, er schien mir jetzt ein Seil oder eine Drahttrosse zu sein.
    Das Pendel war jetzt so groß, wie es einst im Pantheon gewesen sein mußte. Wie wenn

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