Das Foucaultsche Pendel
losreißen von diesem Ort des Glücks.
Auf dem Dorfplatz war kein Pritschenwagen mehr da.
Wie konnte das sein, fragte sich Jacopo, Don Tico hätte ihn doch nicht einfach so allein gelassen. Im nachhinein ist die wahrscheinlichste Antwort, daß es ein Mißverständnis gegeben hatte, wahrscheinlich hatte jemand Don Tico gesagt, der Junge würde von den Partisanen ins Tal gebracht werden.
Aber in jenem Augenblick dachte Jacopo — und nicht ohne Grund —, daß zwischen dem Attenti und dem Riposo zu viele Jahrhunderte vergangen waren, die Jungs hatten bis ins Greisenalter auf ihn gewartet, bis in den Tod, ihr Staub hatte sich zerstreut, um jenen leichten Dunst zu bilden, der jetzt die Weite der Hügel vor seinen Augen bläulich färbte.
Jacopo war allein. Hinter ihm lag ein leerer Friedhof, in seinen Händen lag die Trompete, vor ihm lagen die Hügel, die immer blauer einer hinter dem andern im Quittenmus des Unendlichen verschwammen, und rächend schien über seinem Kopf die befreite Sonne.
Da beschloß er zu weinen.
Doch plötzlich war dann der Leichenwagen erschienen, mit dem prächtigen Kutscher, der wie ein General des Kaisers angetan war, ganz in Cremeweiß und Schwarz und Silber, und die Pferde verhüllt mit barbarischen Masken, die nur die Augen freiließen, und mit Tüchern verhängt wie Bahren, und auf dem Wagen die gewundenen Säulen, die das Dach mit dem ägyptisch-griechisch-assyrischen Tympanon trugen, alles in Weiß und Gold. Der Mann mit dem Zweispitz hielt einen Augenblick vor dem einsamen Trompeter auf dem Dorfplatz, und Jacopo fragte ihn: »Bringen Sie mich nach Hause?«
Der Mann nickte gutmütig. Jacopo kletterte neben ihn auf den Bock, und so begann auf dem Totenwagen die Rückkehr in die Welt der Lebenden. Schweigend lenkte der nunmehr dienstfreie Charon seine funebren Rösser zu Tal, Jacopo saß aufrecht und feierlich da, die Trompete unter den Arm ge-klemmt, den glänzenden Mützenschirm über die Augen ge-755
zogen, durchdrungen von seiner neuen, unverhofften Rolle.
Sie fuhren die Serpentinen hinunter, in jeder Kurve öffnete sich eine neue Aussicht auf blaugrüne Weinberge, alle in einem blendenden Licht, und nach einer unbestimmbaren Zeit kamen sie in *** an. Sie überquerten die rings mit Arkaden gesäumte Piazza, die menschenleer war, wie es nur die Plätze im Monferrat an einem Sonntagnachmittag um zwei sein können. Ein Schulkamerad an der Ecke der Piazza hatte Jacopo auf dem Kutschbock sitzen sehen, die Trompete unterm Arm, die Augen geradeaus ins Unendliche, und hatte ihm bewundernd zugewinkt.
Dann war Jacopo nach Hause gekommen, er wollte nichts essen und nichts erzählen. Er hockte sich auf die Terrasse und begann Trompete zu spielen, leise, als hätte er einen Dämpfer, um die Stille der Siesta nicht zu stören.
Sein Vater war herausgekommen und hatte freundlich, mit der Ruhe dessen, der die Gesetze des Lebens kennt, zu ihm gesagt: »In einem Monat, wenn alles läuft, wie es laufen sollte, geht’s wieder nach Hause. Es ist leider nicht möglich, daß du in der Stadt Trompete spielst. Der Hausherr würde uns kündigen. Also fang schon mal an, sie zu vergessen.
Wenn’s dich wirklich zur Musik hinzieht, lassen wir dich Klavierstunden nehmen.« Und dann, als er Jacopos Augen feucht werden sah: »Na komm schon, Dummerchen. Merkst du nicht, daß die schlimmen Tage vorbei sind?«
Am nächsten Tag brachte Jacopo die Trompete zu Don Tico zurück. Zwei Wochen später verließ die Familie ***, um sich in die Zukunft zu wenden.
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Malchuth
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