Das Foucaultsche Pendel
für mich außergewöhnlichen Umständen kennengelernt, er mich bei einer Routineuntersuchung. Außerdem trug ich damals ein Bärtchen und die Haare länger. Was für ein Auge!
Hatte er mich womöglich seit meiner Rückkehr überwacht? Oder war er bloß ein guter Physiognomiker? Polizisten müssen den Spürsinn kultivieren, sich Gesichter und Namen gut merken können...
»Sieh da, der Signor Casaubon! Und wir lesen dieselben Bücher!«
Ich reichte ihm die Hand. »Jetzt bin ich Doktor, schon seit einer Weile. Vielleicht bewerbe ich mich bei der Polizei, um nichts zu versäumen, wie Sie's mir damals geraten haben. Dann krieg ich die Bücher zuerst.«
»Man braucht bloß als erster zu kommen«, sagte er. »Aber jetzt ist das Buch wieder da, Sie können sich's später holen. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?«
Die Einladung verwirrte mich, aber ich konnte sie nicht ablehnen. Wir setzten uns in ein nahes Café. Er fragte, wieso ich mich für die Mission Indiens interessierte, und ich war versucht, sofort zurückzufragen, wieso er sich dafür interessierte, aber ich beschloss, mir erst einmal Rückendeckung zu verschaffen. Sagte also, ich ginge in der Freizeit weiter meinen Studien über die Templer nach — laut Wolfram von Eschenbach hätten die Templer damals Europa verlassen und wären nach Indien gegangen, und nach Ansicht mancher ins Reich von Agarttha. Nun war es an ihm, aus der Deckung zu kommen. »Die Frage ist eher«, sagte ich, »wieso Sie sich dafür interessieren.«
»Och, wissen Sie«, antwortete er, »seit Sie mir damals dieses Buch über die Templer empfohlen haben, versuche ich, mich über das Thema ein bisschen zu informieren, und Sie wissen ja besser als ich, daß man von den Templern ganz automatisch auf Agarttha kommt.« Touché, Volltreffer! Dann fügte er hinzu: »Nein, ich mache nur Spaß. Ich habe das Buch aus anderen Gründen gesucht. Nämlich weil...«, er zögerte, »weil ich in meiner Freizeit gerne in Bibliotheken gehe. Um keine Maschine zu werden, oder um kein Bulle zu bleiben, suchen Sie sich selber die nettere Formel aus. Aber erzählen Sie mir von sich.«
Ich gab ihm einen autobiografischen Kurzbericht, bis zum wunderbaren Abenteuer der Metalle.
»Aber in dem Verlag da«, fragte er, »und in dem andern daneben, machen Sie da nicht Bücher über mysteriöse Wissenschaften?«
Woher wusste er von Manuzio? Informationen aus der Zeit, als er Belbo überwachte, vor Jahren? Oder war er noch immer hinter Ardenti her?
»Nach all diesen Typen wie Oberst Ardenti, die bei Garamond aufgekreuzt sind und die Garamond dann auf Manuzio abzuladen versucht hat«, sagte ich, »hat Signor Garamond nun beschlossen, diesen Zweig zu kultivieren. Scheint daß es sich lohnt. Wenn Sie Typen wie den alten Oberst suchen, die finden Sie da in rauen Mengen.«
»Ja schon«, sagte er. »Aber Ardenti ist verschwunden. Die anderen, hoffe ich, nicht«
»Noch nicht, und ich möchte fast sagen: leider. Aber verzeihen Sie meine Neugier, Herr Kommissar: Ich stelle mir vor, daß Sie mit Leuten, die verschwinden oder noch Schlimmeres, in Ihrem Beruf jeden Tag zu tun haben. Beschäftigen Sie sich mit allen so... lange?«
Er sah mich amüsiert an. »Und was bringt Sie auf den Gedanken, daß ich mich noch immer mit Ardenti beschäftige?«
Okay, er spielte und begann eine neue Runde. Ich musste den Mut haben, sehen zu wollen, und er würde seine Karten aufdecken müssen. Ich hatte nichts zu verlieren. »Also hören Sie, Kommissar«, sagte ich, »Sie wissen alles über Garamond und Manuzio, Sie sind hier, um ein Buch über Agarttha zu suchen... «
»Wieso? Hatte Ardenti über Agarttha gesprochen?«
Wieder getroffen. Tatsächlich hatte Ardenti, soweit ich mich erinnerte, auch über Agarttha gesprochen. Aber ich parierte gut: »Nein, aber er hatte eine Geschichte über die Templer, Sie werden sich erinnern.«
»Richtig«, sagte er. Dann fügte er hinzu: »Aber Sie dürfen nicht glauben, wir verfolgten immer nur einen Fall, bis er gelöst ist. Das passiert nur im Fernsehen. Die Arbeit des Polizisten ist wie die eines Zahnarztes: ein Patient kommt, man macht ihm eine Plombe, verarztet ihn, er kommt nach zwei Wochen wieder, und in der Zwischenzeit hat man hundert andere Patienten. Ein Fall wie der des Oberst Ardenti kann zehn Jahre im Archiv liegen bleiben, dann plötzlich, im Verlauf eines anderen Falles, durch das Geständnis von irgendwem, kommt ein Indiz zutage, peng, mentaler Kurzschluss, und man denkt neu drüber
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