Das Foucaultsche Pendel
Aber wenn Sie eine schlichtere Interpretation haben wollen: Das Ganze ist wie der Witz von dem Stotterer, der sagte, sie hätten ihn nicht als Radiosprecher genommen, weil er nicht in der Partei war. Man muß die eigenen Fehler immer anderen zuschreiben, Diktaturen brauchen immer einen äußeren Feind, um ihre Anhänger um sich zu scharen. Wie sagte doch gleich, ich weiß nicht mehr, wer es war: Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist die falsche.«
»Und wenn ich eine Bombe in einem Zug finde, eingewickelt in ein Flugblatt, das von Synarchie spricht, begnüge ich mich dann damit zu sagen, das sei eine einfache Lösung für ein komplexes Problem?«
»Wieso? Haben Sie Bomben in Zügen gefunden, die... Nein, entschuldigen Sie. Das wäre wirklich nicht meine Sache. Aber warum sprechen Sie dann mit mir darüber?«
»Weil ich hoffte, Sie wüssten darüber mehr als ich. Weil es mich womöglich erleichtert zu sehen, daß auch Sie damit nicht klarkommen. Sie sagen, Sie müssten zu viele Texte von Verrückten lesen, und halten das für Zeitverschwendung. Ich nicht, für mich sind die Texte Ihrer Verrückten — Ihrer, also der für die normalen Leute Verrückten — wichtige Texte. Vielleicht erklärt mir der Text eines Verrückten, wie jemand denkt, der Bomben in Züge legt. Oder fürchten Sie, ein Polizeispitzel zu werden?«
»Nein, Ehrenwort. Im Grunde ist es mein Beruf, Ideen in Karteikästen zu suchen. Wenn ich auf den richtigen Hinweis stoße, werde ich an Sie denken.«
Während er aufstand, ließ er die letzte Frage fallen: »Und haben Sie unter Ihren Manuskripten nie einen Hinweis auf... etwas namens Tres gefunden?«
»Was ist das?«
»Ich weiß nicht. Muss eine Vereinigung sein oder etwas in der Art, ich weiß nicht mal, ob es wirklich existiert. Ich habe nur davon reden hören, und jetzt ist es mir im Zusammenhang mit den Verrückten eingefallen. Grüßen Sie Ihren Freund Belbo von mir. Sagen Sie ihm, daß ich nicht auf seiner Spur bin. Und daß ich einen scheußlichen Beruf ausübe, der mir scheußlicherweise auch noch gefällt.«
Auf dem Heimweg fragte ich mich, wer von uns beiden das Spiel gewonnen hatte. Er hatte mir eine Menge erzählt, ich nichts. Wenn ich argwöhnisch sein wollte: vielleicht hatte er mir etwas aus der Nase gezogen, ohne daß ich es gemerkt hatte. Aber wer argwöhnisch sein will, gerät leicht in die Psychose des synarchistischen Komplotts.
Als ich Lia von dem Gespräch erzählte, sagte sie: »Also mir scheint, er war ehrlich zu dir. Er wollte sich mal aussprechen. Meinst du, im Polizeipräsidium findet er jemanden, der ihm zuhört, wenn er ihn fragt, ob Jeanne Canudo rechts oder links war? Er wollte bloß rausfinden, ob er's ist, der nichts kapiert, oder ob die Geschichte wirklich zu schwierig ist. Und du bist nicht imstande gewesen, ihm die einzige richtige Antwort zu geben.«
»Und die wäre?«
»Daß es da nichts zu kapieren gibt. Die Synarchie ist Gott.«
»Gott?«
»Ja. Die Menschheit kann den Gedanken nicht ertragen, daß die Welt per Zufall entstanden ist, durch einen Irrtum, bloß weil vier unvernünftige Atome auf der nassen Autobahn ineinandergerast sind. Also muß sie eine kosmische Verschwörung suchen. Gott, die Engel oder die Teufel. Die Synarchie erfüllt dieselbe Funktion, nur in kleinerem Maßstab.«
»Also hätte ich ihm erklären sollen, daß die Leute Bomben in Züge legen, weil sie Gott suchen?«
»Vielleicht.«
54
The prince of darkness is a Gentleman.
(Der Fürst der Finsternis ist ein Edelmann.)
Shakespeare, King Lear, 3, 4, 140
Es wurde Herbst. Eines Morgens ging ich in die Via Marchese Gualdi hinüber, um mir von Signor Garamond die Erlaubnis zu holen, einige Farbdias aus dem Ausland zu bestellen. Im Büro der Signora Grazia sah ich Agliè, über das Autorenverzeichnis von Manuzio gebeugt. Ich störte ihn nicht, da ich mich verspätet hatte und Signor Garamond mich erwartete.
Am Ende unserer Besprechung fragte ich ihn, was Agliè im Sekretariat machte.
»Oh, der ist ein Genie«, sagte Garamond. »Ein Mann von ganz außergewöhnlichem Feingefühl und enormer Bildung. Vorgestern Abend habe ich ihn mit einigen unserer Autoren zum Essen ausgeführt, und er hat mir große Ehre gemacht. Welch eine Konversation, welch ein Stil! Ein echter Gentleman alten Schlages, ein richtiger Herr, von einer Noblesse, wie man sie heute kaum noch findet. Welche Gelehrtheit, welche Kultiviertheit, ich sage noch mehr, welche
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