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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Argwohns zu stürzen. Nichts ist zufällig. Der Fisch da sieht aus wie ein asthmatischer Hesychast, der den Glauben verliert und Gott anklagt, den Sinn des Universums verringert zu haben. Oh, Herre Zebaoth, Zebaoth, wie kannst du nur so gemein sein, mich glauben zu machen, dass du nicht existierst? Wie ein Krebsgeschwür breitet das Fleisch sich über die Welt... Und jener andere Fisch da, der sieht aus wie Minnie, er klappert mit langen Wimpern und zieht eine herzförmige Schnute. Min-nie ist die Verlobte von Mickymaus. Ich esse salade folle mit einer Scholle so zart wie Babyfleisch. Mit Honig und Pfeffer. Die Paulizianer sind unter uns. Der Fisch dort gleitet durch die Korallen wie das Flugzeug von Breguet — lange Flügelschläge wie ein Lepidopterus, hundert zu eins, dass er seinen Homunkulus-Fötus verlassen am Grund eines gläsernen Kolbens erspäht hat, in einem Athanor, der nun zerbrochen im Müll vor dem Haus von Nicolas Flamel liegt. Und dort drüben ein Templerfisch, ganz in Schwarz gepanzert, auf der Suche nach Noffo Dei. Er streift den asthmatischen Hesychasten, der gedankenverloren und grimmig dem Unsagbaren entgegenschwimmt. Ich wende den Blick ab, sehe durchs Fenster, und auf der anderen Straßenseite fällt mir das Schild eines anderen Restaurants ins Auge, CHEZ R... Rose-Croix? Reuchlin? Rosispergius? Ratschkowskiragotzitzarogi? Signaturen, Signaturen...
    Überlegen wir mal. Die einzige Art, den Teufel in Verlegenheit zu bringen, ist bekanntlich, ihn glauben zu machen, dass man nicht an ihn glaubt. An meiner nächtlichen Flucht durch Paris war überhaupt nichts Ungewöhnliches, auch nicht an meiner Vision des Eiffelturms. Aus dem Conservatoire zu kommen, nach allem, was ich dort gesehen hatte oder gesehen zu haben glaubte, und die Stadt als einen einzigen Albtraum zu erleben, war normal. Aber was hatte ich im Conservatoire gesehen?
    Ich musste unbedingt mit Doktor Wagner sprechen. Keine Ahnung, wieso ich mir in den Kopf gesetzt hatte, dies werde das Allheilmittel sein, aber so war es. Sprechtherapie.
    Wie habe ich den restlichen Abend verbracht? Ich glaube, ich bin in ein Kino gegangen, wo The Lady From Shanghai von Orson Welles gezeigt wurde. Als die Szene mit den Spiegeln kam, habe ich's nicht mehr ausgehalten und bin gegangen. Aber vielleicht stimmt das gar nicht, vielleicht habe ich das nur geträumt.
    Heute morgen um neun habe ich dann bei Doktor Wagner angerufen. Der Name Garamond half mir, die Barriere der Sekretärin zu überwinden, der Doktor schien sich an mich zu erinnern, und angesichts der Dringlichkeit meines Falles, die ich ihm zu verstehen gab, sagte er, ich solle gleich kommen, um halb zehn, vor den anderen Patienten. Er klang freundlich und verständnisvoll.
    Habe ich auch den Besuch bei Doktor Wagner nur geträumt? Die Sekretärin ließ sich meine Personalien geben, legte eine Karteikarte an und kassierte das Honorar. Zum Glück hatte ich das Ticket für den Rückflug schon in der Tasche.
    Ein Sprechzimmer in bescheidenen Dimensionen, ohne Couch. Fenster zur Seine, links die Silhouette des Eiffelturms. Doktor Wagner empfing mich mit professioneller Liebenswürdigkeit — recht so, dachte ich, schließlich war ich jetzt nicht einer seiner Lektoren, sondern ein Patient. Mit einer weitausholenden Geste ließ er mich vor seinem Schreibtisch Platz nehmen, wie ein Chef, der einen Angestellten empfängt. »Et alors?« sagte er, gab seinem Drehsessel einen Stoß und kehrte mir den Rücken zu. Den Kopf hielt er gebeugt und die Hände, wie mir schien, gefaltet. Mir blieb nichts anderes mehr, als zu sprechen.
    Und ich sprach, ich redete wie ein Wasserfall, ich holte alles hervor, von Anfang bis Ende — was ich vor zwei Jahren gedacht hatte, was ich letztes Jahr dachte, was ich dachte, dass Belbo gedacht hätte, und Diotallevi. Vor allem aber, was in der Johannisnacht passiert war.
    Wagner unterbrach mich kein einziges Mal, nickte nie, gab weder Zustimmung noch Missbilligung zu erkennen. So wie er dasaß, hätte er in tiefen Schlaf gesunken sein können. Aber das musste seine Technik sein. Und ich sprach und sprach. Sprechtherapie.
    Dann wartete ich, dass er sprach, wartete auf sein erlösendes Wort.
    Wagner stand auf, sehr langsam. Ging, ohne mich anzusehen, um den Schreibtisch herum und trat ans Fenster. Blieb dort stehen und sah hinaus, die Hände auf dem Rücken verschränkt, gedankenverloren.
    Schweigend, zehn, fünfzehn Minuten lang.
    Dann, ohne sich umzudrehen, in einem neutralen,

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