Das Geheimnis der Mangrovenbucht
Kamin brannte ein schwaches Feuer. Ein Mann starrte
hinein, der Pauline ziemlich düster vorkam.
2. Kapitel
Pauline kämpfte verzweifelt, um
sich aus ihrer Lage zu befreien und um ganz leise wieder auf die unter ihr
stehende Kiste zurückzufallen. Sie zog und zerrte, doch nichts geschah. Dann verfing
sich dummerweise ihre Armbanduhr im Vorhang und zog diesen beiseite. Der
plötzlich entstandene Zug blies die Kerze aus, und der Mann schrak mit einem
ärgerlichen Ausruf hoch und blickte auf. Das Fenster war von einem Kopf und
einem Paar Schultern versperrt.
Einen Augenblick lang herrschte
völlige Stille. Pauline war zu erschrocken, um sich zu bewegen — selbst wenn
ihr dies möglich gewesen wäre. Wilde Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Das war
der vermißte Mann. Er war nicht tot — und auch nicht
ertrunken. Er hatte sich versteckt. Dann sofort überkam sie der lähmende
Gedanke: Die Sache ist ganz anders. Er ist sein Mörder; und ich bin mit ihm
allein; ich stecke im Fenster und kann mich nicht bewegen. Sie drückte wie
wahnsinnig gegen den Fensterrahmen und hatte das Gefühl, daß dieser ein wenig
nachgab.
Dann leuchtete vor ihrem
Gesicht ein Licht auf. Der Mann strahlte sie mit seiner Taschenlampe an. Sie
blinzelte und versuchte, ihre freie Hand zu erheben, als eine weiche Stimme
plötzlich sagte: »Du liebe Güte, das ist kein Geist und auch kein Kopf ohne
Rumpf. Das ist die beliebte Miss Marshall, die im Fenster eingeklemmt ist.«
Die Stimme klang träge und
humorvoll. Sie rief in Paulines Gedächtnis eine entfernte Erinnerung wach. Sie
kannte diesen Mann, und sie mochte ihn nicht. Sie hatte ihn schon etliche Male
getroffen, häufig im Golfclub, etwas seltener bei Partys und einige Male bei
ihrem Bruder David und — was noch schlimmer war — ein- oder zweimal bei ihrem
Ex-Verlobten, Lionel Roberts. Er hatte sich zwar nicht in ihren Kreisen bewegt.
Er war überhaupt nicht der Typ von Mann, der sich in irgendeiner Art von Kreis
bewegt — sondern er stand darüber, völlig in seiner Arbeit aufgehend und den
größten Teil seiner Freizeit mit seinem Hobby, der Fliegerei, beschäftigt. Er
war eingebildet, oberflächlich, und seine Redeweise war meist sarkastisch.
Außerdem hieß es, daß er Frauen verabscheue. Seine gleichgültige Art und seine
Unempfindlichkeit ihren Reizen gegenüber hatte sie immer schon gestört.
Trotzdem war er besser als ein
Mörder, was sie beinahe laut gesagt hätte. Doch in letzter Sekunde riß sie sich
zusammen und sagte: »Sie sind Anthony Irving, der Grubeningenieur, nicht wahr?
Aber was um alles in der Welt tun Sie denn hier?«
Er hatte unterdessen die Kerze
angezündet, und sie konnte ihn etwas besser sehen. Er war ein großer, schlanker
Mann, auf eine oberflächliche Art besehen schön, mit dunklem Haar und hellen,
stechenden Augen in einem gebräunten Gesicht. Eine ausgesprochen unangenehme
Erscheinung, die sich offensichtlich über ihre mißliche Lage ziemlich amüsierte.
Sie haßte sich, als sie ihre
eigene Stimme fortfahren hörte: »Guten Abend. Ich — ich wußte nicht, daß Sie
hier sind. Ich — ich bin hierhergekommen, um eine Woche Urlaub zu machen.«
»Sehr erfreut, wirklich. Sie
haben vermutlich David nichts davon gesagt, ansonsten hätte er Ihnen bestimmt
erzählt, daß er mir den Schuppen für einige Tage leihweise zur Verfügung
gestellt hat. Wie dem auch sei, zunächst müssen wir Sie erst einmal aus diesem
Fenster herausholen. Soll ich von innen ziehen oder von draußen schieben?«
»Weder noch«, sagte sie bissig.
»Es gibt nach. Ich fühle es.«
»Wunderbar. Aber — was fühlen
Sie? Geben Sie nach — oder der Fensterrahmen? Besser das letztere. Das hätten
wir«, und schon zerbrach er mit überraschender Kraft die eine Seite des
Fensterstockes und setzte sie in Freiheit. Mit einem kleinen Seufzer der
Erleichterung ließ sie sich auf die Kiste zurückfallen und hörte, wie er sagte:
»Diesmal kommen Sie aber lieber durch die Tür herein. Weniger dramatisch, aber
viel konventioneller. Ich werde sie aufsperren.« Und schon war er in seiner
seltsam leisen Behendigkeit an ihrer Seite, half ihr
von der Kiste herunter, hielt ihren Arm, um sie auf dem glitschigen Weg zu
stützen, und führte sie in die Hütte.
In dem düsteren Licht
betrachteten die beiden einander einen Augenblick lang in unfreundlichem
Schweigen. Er sah ein hübsches Mädchen, attraktiv, aber nicht überwältigend,
mit wallenden mausgrauen Haaren, großen, haselnußbraunen
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