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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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ich so früh begonnen hatte, das Leben eines Straßenmädchens zu führen, war mir für die Beschäftigung mit Buchstaben keine Zeit geblieben. Ich habe aber zum Ausgleich ein ausgezeichnetes Gedächtnis - ich muss ein Bild oder ein Gesicht nur einmal sehen, um es nie wieder zu vergessen. Außerdem versuche ich ständig, mein Gehirn zu schulen - wie
ihr vielleicht inzwischen gemerkt habt, bemühe ich mich, mir von jedem und allem, was ich kenne, drei Fakten zu merken. Ich mag zwar des Lesens nicht mächtig sein, aber dumm bin ich nicht. Dies nur am Rande, damit kein Missverständnis aufkommt.
    Der Mönch schüttelte den Kopf, als habe sich ihm eine andere Welt eröffnet. »Es tut mir leid... Es ist nur so, ich habe mit Büchern zu tun, seit ich denken kann. Sie bedeuten mir alles. Ich habe bereits Hunderte gelesen, und vor kurzem...«, wieder errötete er, aber diesmal vor Stolz, »... ist mir die Ehre zuteilgeworden, zum Hilfsbibliothekar von Santa Croce ernannt zu werden, obgleich ich meine endgültigen Gelübde noch nicht abgelegt habe.«
    Jetzt war ich es, die einen Blick in eine andere Welt erhaschte. Eine Welt, in der schwarze Buchstaben auf dem Pergament in seiner Hand diesem Mönch mehr bedeuteten als Menschen oder Orte. Ich sah ihm in die Augen, und in diesem Moment durchschaute er mich. Er wusste, dass er etwas besaß, was ich nicht besaß und gerne hätte und dass ich ihn trotz meiner Unverschämtheit und meiner Gassenjungenmanieren um das beneidete, was er konnte und wusste.
    »Wie alt seid Ihr, Signorina?«
    Oha. Das war eine Premiere. Niemand hatte mich je zuvor mit »Signorina« tituliert. Ich war so überrumpelt, dass ich tatsächlich wahrheitsgemäß antwortete.
    »Ich weiß es nicht.« Jetzt war nicht der Zeitpunkt, ihm zu erzählen, dass ich als Säugling in einer Flasche aus Venedig nach Florenz gekommen war. Ich beschloss, dass mir ein weiterer Schlag unter die Gürtellinie helfen würde, verlorenen Boden zurückzugewinnen. »Im letzten Winter habe ich gelernt, meinen Monatszyklus zu bestimmen.«
    »Ihr habt was gelernt?« Seine Miene hellte sich auf. Zweifellos dachte er, ich hätte aller gegenseitigen Beteuerungen zum Trotz doch schon zaghaft damit begonnen, Wissen zu erwerben.

    Ich raubte ihm diese Illusion rasch. »Ich blute einmal im Monat - da unten, und das muss ich berechnen.« Dann beugte ich mich verschwörerisch vor. »Deshalb muss ich mein gatto während dieser Tage immer mit Baumwollstreifen verstopfen.«
    Er wich zurück und errötete erneut - diesmal noch heftiger. Ich weidete mich an dem Anblick. Doch er war nicht der Einfaltspinsel, für den ich ihn gehalten hatte, denn er holte augenblicklich zum Gegenschlag aus.
    »Dann seid Ihr also noch ziemlich jung, Signorina, aber Ihr werdet nicht ewig jung bleiben.« Nicht schlecht. Er traf mit traumwandlerischer Sicherheit den wunden Punkt aller Frauen: das drohende Alter. Dann streckte er eine Hand aus, als wolle er meine Wange berühren, zog sie aber hastig zurück, als fürchte er, sich zu verbrennen. »Ihr werdet nicht immer so ein Engelsgesicht haben wie jetzt. Werdet Ihr Eurem Gewerbe auch noch nachgehen, wenn Ihr alt seid, Signorina...« Beim letzten Wort hob er fragend die Stimme.
    Ich reagierte prompt. »Luciana Vetra.«
    Er lächelte und glich plötzlich selbst einem Engel. Ich sah, dass er noch alle seine Zähne hatte, die noch dazu strahlend weiß schimmerten.
    Meine Augen wurden schmal. »Ist etwas?«
    »Luciana Vetra... Das bedeutet >das Licht im Glas<.«
    Ich starrte ihn an. Deswegen war ich also so genannt worden . Weil ich der Säugling in der Flasche war. Einer Glasflasche aus Venedig, der Heimat des Glases. Jetzt begriff ich, wozu es gut sein konnte, sich Wissen aus Büchern anzueignen. Und ich brachte keinen Ton mehr heraus.
    Er bemerkte meinen Zwiespalt, nutzte seine Chance sofort, ergriff mein Handgelenk und sprach eindringlich auf mich ein. »Signorina Vetra. Die Mönche von Santa Croce bieten gefallenen Frauen Zuflucht. War nicht Magdalena, die von unserem Herrn geliebt wurde, selbst eine Dirne? Wir beabsichtigen, die Frauen auszubilden, damit sie ihren Lebensunterhalt mit ehrbaren Tätigkeiten verdienen können, sie in der Heiligen Schrift
zu unterweisen und ihnen Lesen und Schreiben beizubringen. Danach können sie ordentliche Berufe ausüben oder sogar als Nonnen in unseren Schwesterorden eintreten.« Er verstärkte seinen Griff um mein Handgelenk. »Wir könnten Euch helfen. Das Licht hell erstrahlen lassen

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