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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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    Für einen kurzen Augenblick tat sich ein neues Leben vor mir auf. Ich schritt, einen Psalter in der Hand, das Gesicht von einem gestärkten Schleier umrahmt, neben Bruder Guido durch einen Kreuzgang. Vielleicht würde ich, wenn ich mich bewährte, sogar meine wahre Mutter finden, Vero Madre , die sanfte, freundliche Dame, von der ich träumte, seit ich zu träumen vermochte, in deren süß duftender Umarmung ich versank und deren starke Arme mich hielten. In meinen Träumen war sie schön und mütterlich und verschmolz mit allen Bildern, die ich von der Jungfrau Maria gesehen hatte, wenn ich es wirklich einmal gewagt hatte, eine Kirche zu betreten. An jedem Marienschrein, auf den ich stieß, sprach ich zu ihr, als wäre sie meine Vero Madre . Die Worte des Mönchs hatten mir gewissermaßen den Heiligen Gral in Aussicht gestellt. Ich konnte zu einer Tochter werden, auf die man stolz sein konnte, statt mein Leben weiterhin als billige Dirne zu fristen, die besser tot und für immer verloren wäre. Die Schande über jeden brachte, der mit ihr zu tun hatte. Doch dann schüttelte ich den Kopf, was allerdings eher mir selbst als dem Mönch galt. Wo war meine raue Schale geblieben? Wie hatte ich zulassen können, dass er so mit mir sprach? Warum war ich den Tränen näher als je zuvor in meinem Leben? Wo war Chi-Chi, wenn ich sie brauchte? Ich beschwor mein zweites Ich energisch wieder herauf. Der Mönch hatte mich aus der Fassung gebracht, nun gut. Jetzt würde ich ihm Gleiches mit Gleichem vergelten. Meine Hand schoss blitzschnell vor, glitt in die Falten seiner Kutte und schloss sich zielsicher um seinen Schwanz. »Ich könnte Euch auch helfen, wisst Ihr?«, schnurrte ich. »Ich bin mir verdammt sicher, dass ich Euer Licht noch viel heller erstrahlen lassen könnte.«

    Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Er sprang zurück, als habe ihn etwas gebissen, aber erst, nachdem ich etwas entdeckt hatte, was mich noch mehr verstimmte. Ihr müsst wissen, dass ich nie, wirklich nie meine Hand auf das Glied eines Mannes gelegt habe, ohne zu spüren, dass es sich unter meinen Fingern verhärtet. Doch dieser Mönch blieb weich wie ein Säugling und gewann seine Fassung zu meinem zusätzlichen Verdruss rasch zurück. Schlimmer noch, in seinen Augen las ich jetzt mit Mitleid gepaarte Verachtung - als hätte ich ihn enttäuscht. Als hätte er während unseres kurzen Gesprächs etwas Gutes in mir gesehen und nun einsehen müssen, dass er sich geirrt hatte. Er wandte sich ab, was in mir erneut absurderweise den Wunsch auslöste, in Tränen auszubrechen. Aber inzwischen hatte sich eine kleine Gruppe rivalisierender Huren um uns geschart, und ich musste mein Gesicht wahren. Also sprang ich auf, grölte: »Komm wieder, wenn du deine Meinung änderst!«, und entblößte noch obendrein kurz meine Brüste. »Frag einfach nach Chi-Chi.«
    Doch er ging unbeirrt weiter, bis sein schwarzer Lockenschopf in der Menge verschwand. Meine schärfste Konkurrentin, Enna Giuliani, schlängelte sich an mich heran. Mit ihrem langen, messingblond gefärbten Haar und ihrer weiß geschminkten Haut wirkte sie wie eine schlechte Kopie von mir. Wenn jemand ausgesucht werden würde, um in einer Aufführung der Commedia dell’Arte meine Person zu verkörpern, würde die Wahl zweifellos auf sie fallen. Ich wusste, dass die Freier alle nach Enna fragten, wenn ich nicht zur Verfügung stand. Enna dagegen wusste, dass ich die Beliebtere war, aber sie verlangte weniger als ich und hatte deswegen mehr Kundschaft. Solche Spannungen waren nicht gerade eine gute Grundlage für eine enge Freundschaft. Normalerweise hatte ich keine Schwierigkeiten damit, das Luder in seine Schranken zu weisen, aber heute war mein Selbstbewusstsein etwas angeschlagen. Schlimmer noch, sie hatte die kleine Szene mit angesehen und wusste so gut wie ich, dass
es mir nicht gelungen war, dem Mönch zu einem Steifen zu verhelfen.
    »Versagen deine magischen Hände, Chi-Chi?«, keckerte sie, dabei versetzte sie mir einen Stoß mit ihrem knochigen Ellbogen. Die abgerissenen Vetteln ringsum weideten sich feixend an meiner Demütigung.
    Schon wieder brannten Tränen in meinen Augen. Madonna. »Auf diesem Gebiet dürftest du dich ja bestens auskennen«, versetzte ich. Als ich ihr Gesicht musterte, das unter der Schminke von Falten durchzogen war, und die erschlaffenden Brüste betrachtete, die aus dem Ausschnitt ihres Kleides quollen, lief mir ein Schauer über den Rücken. Der Mönch hatte recht.

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