Das Geheimnis meiner Mutter
geschützten Stille der Natur. Sie erzählte ihm von den Partys in den New Yorker Lofts und den Häusern auf Long Island, zu denen sie und ihre Freunde gegangen waren. Greg fühlte sich unbehaglich, aber nicht, weil er schockiert war, sondern weil das alles so verdammt vertraut klang. Er und seine Freunde hatten das Gleiche gemacht, und vielleicht hatte er dabei auch ein Mädchen geschwängert, das ihm nie davon erzählt hatte.
Es war nicht zu leugnen, dass die Trennung und schlussendliche Scheidung für die Kinder hart gewesen war. Und Daisy hatte darauf die klassische Reaktion gezeigt: komplette Rebellion inklusive Missbrauch von verbotenen Substanzen und ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Das genaue Datum der Empfängnis, gab sie zu, schien mit dem Wochenende übereinzustimmen, an dem Sophie nach Übersee geflogen war.
An dem Wochenende war Daisy mit einem verlorenen Gesichtsausdruck zu ihm gekommen. „Kann ich mit ein paar Freunden am Freitag nach Sag Harbor fahren? Bonnie Mackenzie hat mich eingeladen.“
„Sind ihre Eltern da?“
„Natürlich. Du kannst sie anrufen, wenn du willst.“
„Das muss ich nicht. Ich vertraue dir, Honey.“
Und Gott helfe ihm, das hatte er. Er hatte vertraut, dass sie das tat, was sie sagte. Er hatte angenommen, dass es vermutlich ein wenig Alkohol und Rumgeknutsche geben würde. So waren die Highschoolkids nun mal. Es ihr zu verbieten würde sie auch nicht aufhalten.
Sie beobachtete ihn und las offensichtlich in ihm wie in einem offenen Buch. „Mach dir keine Vorwürfe, Dad. Oder Mom oder Logan. Ich habe selber Schuld. Es war meine dumme Entscheidung.“
„Was willst du jetzt wegen Logan tun?“, fragte er. Greg wusste, was er mit dem Jungen tun würde, aber das war illegal und half Daisy vermutlich auch nicht weiter.
„Ich werde niemandem etwas sagen, bis ich entschieden habe, was ich tun will“, sagte sie. „Wenn ich mich entscheide, es nicht zu behalten, gibt es keinen Grund, alle in Aufregung zu versetzen.“ Sie stieß die Spitze ihres Skischuhs in den Schnee. „Ist es schlimm, dass ich vielleicht eine Abtreibung haben will?“
Er musterte sie und sah so deutlich seine hellblonde kleine Tochter vor sich, die sich über ihren ersten lockeren Zahn freute oder auf seinen Schoß krabbelte, um sich eine Geschichte vorlesen zu lassen. Die für den Highschoolball zurechtgemacht die Treppe herunterkam … Dieses Mädchen gab es nicht mehr. Es war für immer verschwunden, als wenn es gestorben wäre. An seine Stelle war diese betretene Fremde getreten, und nur für eine Sekunde durchzuckte ihn bei ihrem Anblick ein Anflug von Abneigung – oder gar Ekel? –, und das Gefühl war so stark, dass es ihm Angst machte.
Nein, dachte er. Nein. Er würde sich nicht ins Wanken bringen lassen. Niemals.
„Dad?“ Sie schaute ihn an. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“
„Es gibt etwas, das ich vergessen habe, dir zu sagen“, sagte er. „Ich liebe dich, und das wird sich niemals ändern.“
Ein kleiner Schauer überlief ihren Körper. „Ich weiß, Dad. Danke, dass du es sagst. Aber … Du hast immer noch nicht meine Frage beantwortet“, wiederholte sie.
Er wusste es nicht. Ganz ehrlich nicht. „Die Tage, da ich Entscheidungen für dich gefällt habe, sind vorüber.“ Er betrachtete ihre Kamera, die er während der gesamten Unterhaltung so vorsichtig in den Händen gehalten hatte. Später, das wusste er, würde er die Bilder ansehen, die sie heute gemacht hatten, und sich daran erinnern, dass sie ihn und seine Tochter im Davor zeigten.
21. KAPITEL
N achdem Jenny in die Stadt gefahren war, kehrte Rourke zu einem Leben zurück, das sich seltsam hohl anfühlte. Er sagte sich, dass er glücklich sein sollte, seinen gewohnten Tagesablauf zurückzuhaben. Er war es gewohnt, alleine zu leben, nach seinen eigenen Regeln. Jenny bei sich wohnen zu haben, und sei es nur vorübergehend, war eine ziemlich große Störung gewesen.
Wirklich, sie war so nervig. Sie duschte ewig lange und stellte das Badezimmer mit einer wilden Mischung aus Seifen und Shampoos und Schönheitsprodukten voll. Sie bestand darauf, ein nahrhaftes Frühstück zu sich zu nehmen, und schaute sich die grauenhaftesten Fernsehsendungen an – Project Runway und America’s Next Top Model. Wer dachte sich solche Sachen eigentlich aus?
Also war es eine Erleichterung, sein aufgeräumtes Badezimmer zu betreten, sein aufgeräumtes Leben. Ho Hos zum Frühstück und Boxen im Fernsehen. Definitiv
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