Die Wölfe vom Rock Creek - Alaska Wilderness ; 2
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Julie fütterte gerade ihre Huskys, als ein junger Ranger vom Verwaltungsgebäude herunterkam und rief: »Der Super will dich sprechen, Julie! Sofort!«
Wenn Superintendent John W. Green nach einem verlangte, konnte man sicher sein, dass es um etwas Wichtiges ging. Der Chef des Denali National Park in Alaska rief einen nur persönlich ins Büro, wenn er Lob oder Tadel zu verteilen hatte oder einen besonders wichtigen Auftrag bereithielt. Julie war Praktikantin und erst seit ein paar Monaten im Park, hatte bisher aber gute Arbeit geleistet und hoffte, dass er sie auf Erkundungsfahrt schicken würde.
»Mach keine Dummheiten, solange ich weg bin«, verabschiedete sie sich von Chuck, ihrem Leithund, einem erfahrenen Husky mit einem weißen Fleck auf der schwarzen Stirn. »Und streite dich nicht mit Skipper, das gibt nur Ärger!« Skipper war der Leithund des Denali-Teams, ebenso erfahren wie Chuck und wenn es darauf ankam, sogar ein wenig ehrgeiziger. Sie drehte sich noch mal zu den Hundezwingern um und lief zum Verwaltungsgebäude.
Der Superintendent saß hinter seinem Schreibtisch und deutete auf den Besucherstuhl, als sie an die offene Tür klopfte und eintrat. Er war ein hochgewachsener Mann mit sorgfältig gescheiteltem Haar und buschigen Brauen über stahlblauen Augen. Seine maßgeschneiderte Uniform saß makellos. Ein vorbildlicher Ranger, der schon seit einigen Jahren im Denali National Park seinen Dienst tat. »Was wissen Sie über Wölfe, Julie?«, fragte er.
Julie war seine überraschenden Fragen schon gewöhnt und wunderte sich nicht. »Wölfe werden zu Unrecht verteufelt«, antwortete sie, »daran sind die Märchen und Legenden schuld. Bei den Indianern hatten Wölfe ein großes Ansehen, und das vollkommen zu Recht. Sie greifen Menschen nur in den Zeiten höchster Not an, in besonders strengen Wintern, wenn sie nichts anderes mehr zu fressen haben. Sie leben in Rudeln zusammen, sind wesentlich straffer organisiert als die Menschen und gehorchen ihrem Anführer, dem Alphawolf, bedingungslos. Sie sind aber auch rührend um ihre Jungen besorgt, die meist im Mai geboren werden und schon früh lernen, sich in der Wildnis zu behaupten. Wölfe jagen vor allem Karibus und Elche und verständigen sich durch eine ausgeprägte Körpersprache. Bei uns in Denali gibt es ungefähr sechzig Wölfe, die sich auf neun Rudel verteilen … nein, es sind acht Rudel.«
»Sehr gut!«, lobte der Superintendent. »Ich merke schon, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht. Würden Sie gern mal Wölfe aus der Nähe sehen?«
»Natürlich, Sir. Wenn es sich mit meiner Arbeit vereinbaren lässt?«
»Das tut es, Julie. Wie Sie wissen, haben wir vor einigen Wochen mit unserem neuen Wolf Monitoring Program begonnen. Biologen der University of Alaska in Fairbanks legen ausgesuchten Wölfen ein Funkhalsband an, das uns täglich übermittelt, wo sich die Tiere gerade aufhalten. Dazu müssen die Wölfe mit Betäubungspfeilen sediert und gründlich untersucht werden. Heute wird ein Mitarbeiter der Universität ein weiteres Tier mit einem Sender versehen. Gewöhnlich begleiten eine Rangerin oder ein Ranger den Biologen auf seinem Flug. Heute werden Sie diese Begleitung sein. Melden Sie sich bei Dr.John Blake am Hubschrauberlandeplatz. Nehmen Sie ein Lunchpaket mit.«
»Jetzt gleich?«
»Start in … « Er blickte auf die Uhr. »… zehn Minuten, Julie.«
Julie bedankte sich und rannte in die kleine Blockhütte zurück, die sie mit Carol Schneider teilte. Die Rangerin war sieben Jahre älter als sie und für ihre Ausbildung verantwortlich, eine sportliche Frau mit dunklen Haaren, die sie wie immer während der Dienstzeit zu einem Knoten gebunden hatte. Vor einigen Jahren war sie Fünfte beim Iditarod gewesen, dem legendären Hundeschlittenrennen zwischen Anchorage und Nome, das über tausend Meilen durch die Wildnis führte. Nur einer von vielen Gründen für Julie, um zu ihr aufzublicken.
Carol war gerade dabei, ihre Schmutzwäsche zu sortieren, nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. »Du hast großes Glück, weißt du das?«, empfing sie ihre Mitbewohnerin und warf eine Bluse auf den Haufen mit der weißen Wäsche. »Normalerweise können Praktikantinnen froh sein, wenn sie mal einen Wolf aus der Ferne sehen dürfen. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Super einem Grünschnabel jemals erlaubt hat, mit einem der Biologen mitzufliegen.« Sie stopfte ihre Wäsche in einen Plastikbeutel. »Ich hoffe, dir wird nicht schlecht vom
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