Das Geheimnis von Vennhues
erdrückende Indizienkette. Die Tatwaffe stammte aus dem Haus des Angeklagten. Er hatte ein Motiv. Die vordeliktische Beziehung, die Täter und Opfer hatten, sprach Bände. Die hatte es in sich.«
Hambrock nickte. »Das habe ich gelesen.«
Nach Zeugenaussagen sollte sich Peter Bodenstein wenige Tage vor der Tat seinem Opfer Willem van der Kraacht sexuell genähert haben. Im Dorf war das immer nur angedeutet worden, und niemand hatte diesen Umstand beim Namen benannt. Doch Hambrock hatte es damals schon verstanden, und nun stand es Schwarz auf Weiß in den Ermittlungsakten.
»Bodenstein hatte ein irregeleitetes sexuelles Interesse an dem Jungen«, fuhr Bäumer fort. »Van der Kraacht hatte ihn abgewiesen und im Anschluss gemieden. Bodenstein konnte die Kränkung nicht hinnehmen, und in seiner übersteigerten sexuellen Gier hat er das Opfer überwältigt und ermordet.« Der pensionierte Kommissar schlug mit der Hand auf den Wohnzimmertisch. »Vierundzwanzig Messerstiche, Bernhard. Ich bitte dich, das spricht doch wohl für sich. So viel von Psychologie wussten wir auch damals schon. Der Mord hatte eine sexuelle Komponente. Sieben dieser Messerstiche drangen in den Anus des Opfers ein.« Die Erinnerung verfinsterte sein Gesicht. »Der Junge wurde mit dem Messer förmlich aufgespießt!«
Hambrock nahm einen Schluck von seinem Tee, der Rum brannte in seiner Kehle. »Es konnten keine Fingerabdrücke sichergestellt werden«, gab er zu bedenken.
»Fingerabdrücke!« Bäumer stieß verächtlich die Luft aus. »Die Tatwaffe lag mehrere Tage im Sumpfwasser. Wie willst du da noch Abdrücke sichern?« Er blickte Hambrock missmutig an. »Was brauchst du denn noch? Einen Videomitschnitt vom Mord? Es war Bodenstein, glaub mir. Jemand anderes kommt nicht in Frage.«
»Vielleicht kommt tatsächlich niemand aus der Dorfgemeinschaft in Frage. Doch es könnte jemand gewesen sein, der von außen gekommen ist. Ein Fremder.«
»Es hat nicht den geringsten Hinweis auf einen Unbekannten gegeben. Du darfst nicht vergessen, damals waren die Grenzen noch geschlossen. Da konnte man nicht einfach zwischen Deutschland und Holland hin und her fahren. Vennhues liegt in einem Kessel, rundherum nur Grenzgebiet. Wer damals in das Moor wollte, der musste den Ortskern durchqueren. Früher sind Fremde sofort aufgefallen.
Kaum denkbar, dass jemand ungesehen ins Moor und wieder zurück gekommen ist.«
Hambrock dachte darüber nach. »Es ist unwahrscheinlich«, sagte er. »Aber nicht unmöglich.«
Bäumer fixierte ihn durch die Rauchschwaden in der Luft. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen.
»Du stammst doch aus der Gegend, nicht wahr?«, fragte er. »Bist du nicht irgendwo in der Nähe aufgewachsen?«
Er nickte. »Nicht irgendwo. Ich komme aus Vennhues.«
»Aus Vennhues?« Sein ehemaliger Vorgesetzter blickte ihn erstaunt an. »Dann bist du damals dabeigewesen?«
»Die Polizei hat mich befragt. Wie alle im Dorf. Doch ich konnte nicht viel beitragen. Ich war noch sehr jung.«
Bäumer lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er schien nachzudenken. »Wir haben niemals darüber geredet, wenn ich mich richtig erinnere. Oder etwa doch?«
»Es hat nie einen Anlass gegeben. Der Mord lag bereits acht Jahre zurück, als ich in der Kommission angefangen habe. Wir haben über aktuelle Fälle geredet, nicht über vergangene.«
»Du wolltest nicht darüber reden«, korrigierte Bäumer und legte die Stirn in Falten. »Niemand in Vennhues wollte später noch darüber reden. Die ganze Sache sollte so schnell wie möglich in Vergessenheit geraten.«
Hambrock fragte sich, ob sein alter Vorgesetzter nicht zu viel Bedeutung in diesen Umstand legte. »Es stimmt, dass man in Vennhues nicht gerne daran zurückdenkt«, sagte er. »Doch ich glaube nicht, dass dies der Grund war. Die Geschichte war für mich ganz einfach erledigt. Sie hatte nichts damit zu tun, dass ich zur Polizei gegangen bin.«
»Wie kommt es, dass du jetzt wieder Interesse an dem Fall hast?« Bäumer blickte ihn prüfend an. »Es ist kein Zufall, dass diese Geschichte auf deinem Schreibtisch gelandet ist, nicht wahr?«
Hambrock lächelte resigniert. »Kannst du die Antwort nicht längst selber geben?«
»Peter Bodenstein ist zurückgekehrt«, sagte Bäumer tatsächlich. »Er ist in Vennhues, und die alten Wunden sind wieder aufgerissen worden.«
Hambrock gab sich geschlagen. »Heute Mittag ist ein Anruf bei mir eingegangen«, gestand er. »Bodenstein ist gestern aufgetaucht. Wahrscheinlich
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