Das Geiseldrama
Scharfblick.
Schorbach fuhr einmal ums
Viertel. Als er zurückkam, standen immer noch zwei Polizisten vor dem
Haupteingang. Dann gesellte sich ein Bahnpolizist zu ihnen. Der führte einen
Schäferhund an der Leine. Der Hund trug einen Maulkorb und spähte umher, als
hätte er einen besonderen Auftrag.
Schorbach fuhr vorbei. Es eilte
ja nicht. Das Geld war ihm sicher. Roland, der Verräter, konnte nicht mehr ran.
Es ging auf Mittag. Schorbach
spürte Hunger, und für Spesen reichte sein Geld noch. Er fand eine düstere
Kneipe, setzte sich in eine Ecke, behielt die Brille auf der Nase und aß
Kalbsleber mit Kartoffelpüree, Apfelscheiben und gebräunten Zwiebeln. Dazu
trank er ein kleines Bier. Nur ein kleines! Denn klarer Verstand war das halbe
Leben für einen Terroristen.
Während er vernehmlich
schmatzend das Mahl genoß, dachte er nach.
Erwin Roland, hm, war ein
trickreicher Bursche. Hm. Klar war er das. Hm. Gewalttaten hatte er nicht
gemacht in der Brigade. Hm. Aber er hatte Bomben gebastelt. Hm. Und
Sprengsätze. Hm. Nicht alle hatten funktioniert. Aber einige doch. Hm. Himmel,
war die Leber zäh!
Als Schorbach wieder beim
Hauptbahnhof anlangte, waren die Polizisten verschwunden.
Er parkte, rückte seine Perücke
etwas in die Stirn und stieg aus.
Beim Haupteingang lungerte ein
Penner herum. Er hatte neben dem Eingang auf nackten Steinen gesessen, mit dem
Hut vor sich, bettelnd. Aber das Geschäft lief heute nicht gut. Die Einnahmen
waren gering. Jetzt sprach er eine ältliche Frau an, die zwei Koffer schleppte
und Sorge hatte, daß sie ihren Zug nicht mehr erreichte. Ohne den Kerl zu
beachten, eilte sie weiter.
„Heh, Mann!“ sagte Schorbach.
Der Stadtstreicher grinste
erwartungsvoll. Er roch nach Schnaps. Aber das überdeckte nicht den Gestank,
der aus seinen Klamotten stieg.
„Ja? Können Sie mir eine
Kleinigkeit geben, weil...“
„Hier sind fünf Mark.“
Schorbach gab ihm die Münze. „Aber du tust mir einen Gefallen. Holst mir meinen
Koffer aus dem Schließfach. Klar? Meine Braut — eine ehemalige, sie weiß nur
noch nicht, daß es zwischen uns aus ist — lauert in der Halle auf mich. Will
ihr nicht begegnen. Du verstehst?“
Der Penner verstand. „Ist
gemacht, Herr Nachbar. Jaja, die Weiber! Hängen wie Kletten an unsereins, wie?“
An dir bestimmt! dachte
Schorbach. Er gab ihm den Schlüssel.
Bevor der Penner loszog,
stärkte er sich aus der Schnapsflasche.
Schorbach sah ihm nach.
Kann ja sein, ich irre mich,
dachte er. Aber Vorsicht ist immer noch besser als Wumm! Peng! Und der
Schorbach klebt in der Bahnhofskuppel. Ein bißchen was vom Sprengstoff fehlte,
als Roland die Kurve kratzte. Nur ein bißchen! Aber wer, wenn nicht er, hat’s
genommen? Ich nicht. Arved? Martin? Felix? Francesca? Hanna? No, Sir! Gleich
werden wir’s sehen. Aber dann, Roland, gnade dir Gott!
3. Beim
Blauen Turm in der Mönchsgasse
Auf ihren Drahteseln fuhren die
TKKG-Freunde zur Stadt. Die Sonne brannte vom Sommerhimmel. Klößchen jammerte.
Gaby hatte ein Seidenband aus ihrer Mappe genommen und die Goldmähne in eine
Pferdeschwanzfrisur verwandelt. Jetzt konnte ihr der Fahrtwind die Ohren
fächeln.
Elly Roland, die Sportlehrerin,
die auch Step- und Jazz-Tanz unterrichtete, hatte ihr Studio in einem
Stadtviertel, wo es weder Baum noch Strauch gab. Hier bestand die Welt aus Stein
und Beton. Für einen Park war kein Platz, und die Luft roch nach Häusermeer.
Das Studio lag im dritten Stock
eines verschachtelten Gebäudes. Die vier Freunde fuhren auf den Hinterhof und
parkten ihre Tretmühlen zwischen einem Kleinwagen und einer Reihe von
Mülltonnen.
Eine Außentreppe führte zum
Studio hinauf. Ein Messingschild STUDIO ROLAND wies Neulingen den Weg. Gaby
ging voran.
„Wenn sie beim Mittagessen ist,
müssen wir uns entschuldigen“, sagte sie.
Tarzan deutete auf das Kuvert,
das sie trug. „Das entschuldigt uns doch.“
„Daß ich komme, schon. Aber
nicht, daß die ganze TKKG-Bande anrückt.“
Natürlich wußte sie inzwischen,
weshalb Tarzan mit Elly Roland reden wollte.
Oben klingelten sie. Die
Sportlehrerin öffnete.
„Hallo, Gaby!“ meinte sie
erfreut. Dann bemerkte sie die Jungs, die etwas unterhalb auf den Stufen
standen. „Und deine Freunde hast du mitgebracht. Grüß euch! Kommt rein! Wollt
ihr doch? Oder habt ihr’s eilig? Nein? Dachte ich mir. Herein mit euch. Momentan
ist kein Schüler da. Mittagspause. Wißt ihr, wie’s Ute geht? Der Frau
Hollmeier, meine ich. Was ist das,
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