Das Geloebnis
hatte der alte Gelehrte darauf geschrieben, »so bringt meinen Leichnam zu meiner Frau, die im Dorf Ling außerhalb der Südmauer der Stadt lebt.«
Diesem Wunsch war der Mann, eine Belohnung fordernd, nachgekommen, und Ling Tan gab ihm natürlich die Belohnung. Aber welch ein Tag war das gewesen, als des Vetters Frau endlich ihren Mann zurückerhielt! Es war ein Tag voll Ärger und Sorge, denn sie empfand solchen Zorn, daß sie nicht einmal trauern konnte, wie es sich gehörte, denn mochte sie ihren Mann auch noch so sehr schelten, er konnte sie nicht hören, während er in dem Sarge lag, den Ling Tan ihm gegeben hatte. Es war Ling Saos eigener Sarg. Sowohl Ling Tan als auch Ling Sao hatten ihre Särge in einem Nebenhaus bereit; sie waren in dem Sommer verfertigt worden, als Ling Tan das sechzigste Altersjahr erreichte. Es bedeutete einen Trost für sie beide, daß ihre Särge bereit waren, die Schlafenden aufzunehmen, wenn der Tod unerwartet kommen sollte.
Aber jetzt trat Ling Sao ihren Sarg dem Weib des Vetters ab. »Ich kann einen neuen bekommen, wenn meine Söhne das nächste Mal in die Stadt gehen«, sagte sie. »Die Knochen des alten Gelehrten sollen endlich ruhen.«
So tat man nach ihrem Geheiß, und die Frau des Vetters weinte und erzürnte sich abwechselnd. Zuerst weinte und klagte sie, doch als ihr all das viele Geld einfiel, das der Verstorbene für sich in der Stadt versteckt hatte, und sie daran dachte, wie er alles, was er verdient, in Opium umgesetzt hatte, wurde sie wütend; sie hörte auf zu weinen, wusch sich das Gesicht, kämmte sich die Haare und schrie, sie sei froh über seinen Tod, denn in seinem Leben sei er von keinerlei Nutzen für sie gewesen. Und dann erinnerte sie sich, daß sie nun tatsächlich Witwe war, worauf sie wiederum weinte. Alles in allem erregte sie einen solchen Aufruhr im Dorf, daß man froh war, als der alte Mann unter der Erde lag.
Am Tag vor dem Begräbnis blickte Ling Tan einmal in den Sarg und lächelte. Obwohl das Opium den alten Gelehrten zum Skelett abgemagert hatte, sah er so friedlich aus, daß Ling Tan wußte, er sei es zufrieden, so dazuliegen. An jenem Abend sagte er zu seinem Sohn: »Bestimmt findet der alte Spitzbube, daß er das beste Teil erwählt hat, weil sie ihn nicht mehr dazu zwingen kann, sie anzuhören.«
Immerhin gab es, nachdem der alte Gelehrte begraben war, keine Möglichkeit mehr, zu erfahren, was jenseits der Wasser vorging, und Ling Tan blieb nichts mehr als das Gelöbnis, um Hoffnung zu hegen.
Wie konnte er da gefaßt sein auf diesen ärgsten Tag, den der Himmel ihm schickte? An diesem Tag überwältigten die Gegner die Männer von Mei durch Überrumpelung. Sie überfielen die ausländischen Schiffe, die nebeneinander in dem fremden Hafen lagen, und sie steckten die Flugzeuge in Brand, die Seite an Seite auf dem Boden ruhten. Diejenigen, welche diese Schiffe des Wassers und der Luft zu betreuen hatten, schliefen oder gingen an einem Tag, wo alle müßig waren, ihrem Vergnügen nach. Versteht sich, daß die Gegner ihren Sieg allenthalben verkündeten. Sie schrien ihn auf den Straßen aus, an den Mauern stand es in großen Lettern geschrieben, und Stimmen trugen die Kunde rascher übers Land, als es der Wind vermocht hätte. So erreichte die Neuigkeit auch das Dorf Ling. Es war ein klarer, kühler Tag, ein Tag, an dem in besseren Zeiten Ling Tan seine Frau gebeten hätte, ihm Nudeln aus weißem Weizenmehl zu machen. Am Morgen hatte er den Frost vor der Tür gerochen, und als er neugierig hinaussah, gewahrte er ihn weiß auf dem abgeernteten Boden.
»Wenn es richtige Zeiten wären«, sagte er zu Ling Sao, »dann würde ich heute Weizennudeln essen.«
»Wir haben nur den ewigen Hirsebrei«, erwiderte sie, »aber er ist heiß.«
So aß er seinen heißen Hirsebrei, und der Tag verging wie alle Tage. Die Söhne widmeten sich ihrer Arbeit, und er saß in der Sonne und rauchte seine Wasserpfeife. Plötzlich aber kam jemand auf das Haus zugelaufen. Es war ein junger Bursche, der Sohn eines Bauern im nächsten Dorf, der als erster bei Ling Tan erschien. Er weinte, während er daherrannte, und Ling Tan rief ihm zu: »Was gibt’s? Kann es noch Schlimmeres geben, als uns bisher widerfahren ist?«
»Es gibt noch Schlimmeres, und es ist geschehen«, entgegnete der Bursche, und dann berichtete er keuchend und schluchzend. Am frühen Morgen dieses Tages hatte der Feind die Schiffe und Flugzeuge der Leute von Mei überfallen, Tausende von Meilen
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