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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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Penn ich, penn ich, bis eines Tages die Mauern des Hauses anfangen zu knistern und vor Altersschwäche auseinander zu krümeln. Oder bis zur nächsten Mobilmachung. Ich bin müde wie eine ganze gähnende Welt!
    DER ANDERE: Werd nicht müde, Beckmann. Komm. Lebe!
    BECKMANN: Nein, dieses Leben ist weniger als Nichts. Ichmach nicht mehr mit, du. Was sagst du? Vorwärts, Kameraden, das Stück wird selbstverständlich brav bis zu Ende gespielt. Wer weiß, in welcher finsteren Ecke wir liegen oder an welcher süßen Brust, wenn der Vorhang endlich fällt. Fünf graue verregnete Akte!
    DER ANDERE: Mach mit. Das Leben ist lebendig, Beckmann. Sei mit lebendig!
    BECKMANN: Sei still. Das Leben ist so:
    1. Akt: Grauer Himmel. Es wird einem wehgetan.
    2. Akt: Grauer Himmel. Man tut wieder weh.
    3. Akt: Es wird dunkel und es regnet.
    4. Akt: Es ist noch dunkler. Man sieht eine Tür.
    5. Akt: Es ist Nacht. Tiefe Nacht. Und die Tür ist zu. Man steht draußen. Draußen vor der Tür. An der Elbe steht man, an der Seine, an der Wolga, am Mississippi. Man steht da, spinnt, friert, hungert und ist verdammt müde. Und dann auf einmal plumpst es, und die Wellen machen niedliche kleine kreisrunde Kreise, und dann rauscht der Vorhang. Fische und Würmer spendieren einen lautlosen Beifall. – So ist das! Ist das viel mehr als Nichts? Ich – ich mach jedenfalls nicht mehr mit. Mein Gähnen ist groß wie die weite Welt!
    DER ANDERE: Schlaf nicht ein, Beckmann! Du mußt weiter.
    BECKMANN: Was sagst du? Du sprichst ja auf einmal so leise.
    DER ANDERE: Steh auf, Beckmann, die Straße wartet.
    BECKMANN: Die Straße wird wohl auf meinen müden Schritt verzichten müssen. Warum bist du denn so weit weg? Ich kann dich gar nicht mehr – kaum noch – verstehen – – –
(Er gähnt.)
    DER ANDERE: Beckmann! Beckmann!
    BECKMANN: Hm – –
(Er schläft ein.)
    DER ANDERE: Beckmann, du schläfst ja!
    BECKMANN
(im Schlaf)
: Ja, ich schlafe.
    DER ANDERE: Wach auf, Beckmann, du mußt leben!
    BECKMANN: Nein, ich denke gar nicht daran, aufzuwachen. Ich träume gerade. Ich träume einen wunderschönen Traum.
    DER ANDERE: Träum nicht weiter, Beckmann, du mußt leben.
    BECKMANN: Leben? Ach wo, ich träume doch gerade, daß ich sterbe.
    DER ANDERE: Steh auf, sag ich! Lebe!
    BECKMANN: Nein. Aufstehen mag ich nicht mehr. Ich träume doch gerade so schön. Ich liege auf der Straße und sterbe. Die Lunge macht nicht mehr mit, das Herz macht nicht mehr mit und die Beine nicht. Der ganze Beckmann macht nicht mehr mit, hörst du? Glatte Befehlsverweigerung. Unteroffizier Beckmann macht nicht mehr mit. Toll, was?
    DER ANDERE: Komm, Beckmann, du mußt weiter.
    BECKMANN: Weiter? Abwärts, meinst du, weiter abwärts! A bas, sagt der Franzose. Es ist so schön, zu sterben, du, das hab ich nicht gedacht. Ich glaube, der Tod muß ganz erträglich sein. Es ist doch noch keiner wieder zurückgekommen, weil er den Tod nicht aushalten konnte. Vielleicht ist er ganz nett, der Tod, vielleicht viel netter als das Leben. Vielleicht – – – Ich glaube sogar, ich bin schon im Himmel. Ich fühl mich gar nicht mehr – und das ist, wie im Himmel sein, sich nicht mehr fühlen. Und da kommt auch ein alter Mann, der sieht aus wie der liebe Gott. Ja, beinahe wie der liebe Gott. Nur etwas zu theologisch. Und so weinerlich. Ob das der liebe Gott ist? Guten Tag, alter Mann. Bist du der liebe Gott?
    GOTT
(weinerlich)
: Ich bin der liebe Gott, mein Junge, mein armer Junge!
    BECKMANN: Ach, du bist also der liebe Gott. Wer hat dicheigentlich so genannt, lieber Gott? Die Menschen? Ja? Oder du selbst?
    GOTT: Die Menschen nennen mich den lieben Gott.
    BECKMANN: Seltsam, ja, das müssen ganz seltsame Menschen sein, die dich so nennen. Das sind wohl die Zufriedenen, die Satten, die Glücklichen, und die, die Angst vor dir haben. Die im Sonnenschein gehen, verliebt oder satt oder zufrieden – oder die es nachts mit der Angst kriegen, die sagen: Lieber Gott! Lieber Gott! Aber ich sage nicht Lieber Gott, du, ich kenne keinen, der ein lieber Gott ist, du!
    GOTT: Mein Kind, mein armes –
    BECKMANN: Wann bist du eigentlich lieb, lieber Gott? Warst du lieb, als du meinen Jungen, der gerade ein Jahr alt war, als du meinen kleinen Jungen von einer brüllenden Bombe zerreißen ließt? Warst du da lieb, als du ihn ermorden ließt, lieber Gott, ja?
    GOTT: Ich hab ihn nicht ermorden lassen.
    BECKMANN: Nein, richtig. Du hast es nur zugelassen. Du hast nicht hingehört, als er schrie und als die Bomben

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