Das Gesamtwerk
Besen. Hör doch: Kchch – Kchch – Kchch.
BECKMANN: Der Straßenfegerbesen macht Kchch – Kchch wie die Lunge eines, der verröchelt. Und der Straßenfeger hat rote Streifen an den Hosen. Es ist ein Generalstraßenfeger. Ein deutscher Generalstraßenfeger. Und wenn der fegt, dann machen die rasselnden Sterbelungen: Kchch – Kchch – Kchch. Straßenfeger!
STRASSENFEGER: Ich bin kein Straßenfeger.
BECKMANN: Du bist kein Straßenfeger? Was bist du denn?
STRASSENFEGER: Ich bin ein Angestellter des Beerdigungsinstitutes Abfall und Verwesung.
BECKMANN: Du bist der Tod! Und du gehst als Straßenfeger?
STRASSENFEGER: Heute als Straßenfeger. Gestern als General. Der Tod darf nicht wählerisch sein. Tote gibt es überall. Und heute liegen sie sogar auf der Straße. Gestern lagen sie auf dem Schlachtfeld – da war der Tod General und die Begleitmusik spielte Xylophon. Heute liegen sie auf der Straße, und der Besen des Todes macht Kchch – Kchch.
BECKMANN: Und der Besen des Todes macht Kchch – Kchch. Vom General zum Straßenfeger. Sind die Toten so im Kurs gesunken?
STRASSENFEGER: Sie sinken. Sie sinken. Kein Salut. Kein Sterbegeläut.Keine Grabrede. Kein Kriegerdenkmal. Sie sinken. Sie sinken. Und der Besen macht Kchch – Kchch.
BECKMANN: Mußt du schon weiter? Bleib doch hier. Nimm mich mit. Tod, Tod – du vergißt mich ja – Tod!
STRASSENFEGER: Ich vergesse keinen. Mein Xylophon spielt Alte Kameraden, und mein Besen macht Kchch – Kchch – Kchch. Ich vergesse keinen.
BECKMANN: Tod, Tod, laß mir die Tür offen. Tod, mach die Tür nicht zu. Tod –
STRASSENFEGER: Meine Tür steht immer offen. Immer. Morgens. Nachmittags. Nachts. Im Licht und im Nebel. Immer ist meine Tür offen. Immer. Überall. Und mein Besen macht Kchch – Kchch.
(Das Kchch – Kchch wird immer leiser, der Tod geht ab.)
BECKMANN: Kchch – Kchch. Hörst du, wie meine Lunge rasselt? Wie der Besen eines Straßenfegers. Und der Straßenfeger läßt die Tür weit offen. Und der Straßenfeger heißt Tod. Und sein Besen macht wie meine Lunge, wie eine alte heisere Uhr: Kchch – Kchch – Kchch …
DER ANDERE: Beckmann, steh auf, noch ist es Zeit. Komm, atme, atme dich gesund.
BECKMANN: Aber meine Lunge macht doch schon –
DER ANDERE: Deine Lunge macht das nicht. Das war der Besen, Beckmann, von einem Staatsbeamten.
BECKMANN: Von einem Staatsbeamten?
DER ANDERE: Ja, der ist längst vorbei. Komm, steh wieder auf, atme. Das Leben wartet mit tausend Laternen und tausend offenen Türen.
BECKMANN: Eine Tür, eine genügt. Und die läßt er offen, hat er gesagt, für mich, für immer, jederzeit. Eine Tür.
DER ANDERE: Steh auf, du träumst einen tödlichen Traum. Du stirbst an dem Traum. Steh auf.
BECKMANN: Nein, ich bleibe liegen. Hier vor der Tür. Und dieTür steht offen – hat er gesagt. Hier bleib ich liegen. Aufstehen soll ich? Nein, ich träume doch gerade so schön, du. Einen ganz wunderschönen schönen Traum. Ich träume, träume, daß alles aus ist. Ein Straßenfeger kam vorbei und der nannte sich Tod. Und sein Besen kratzte wie meine Lunge. Tödlich. Und der hat mir eine Tür versprochen, eine offene Tür. Straßenfeger können nette Leute sein. Nett wie der Tod. Und so ein Straßenfeger ging an mir vorbei.
DER ANDERE: Du träumst, du träumst einen bösen Traum. Wach auf, lebe!
BECKMANN: Leben? Ich liege doch auf der Straße und alles, alles, du, alles ist aus. Ich jedenfalls bin tot. Alles ist aus und ich bin tot, schön tot.
DER ANDERE: Beckmann, Beckmann, du mußt leben. Alles lebt. Neben dir. Links, rechts, vor dir: die andern. Und du? Wo bist du? Lebe, Beckmann, alles lebt!
BECKMANN: Die andern? Wer ist das? Der Oberst? Der Direktor? Frau Kramer? Leben mit ihnen? Oh, ich bin so schön tot. Die andern sind weit weg, und ich will sie nie wiedersehen. Die andern sind Mörder.
DER ANDERE: Beckmann, du lügst.
BECKMANN: Ich lüge? Sind sie nicht schlecht? Sind sie gut?
DER ANDERE: Du kennst die Menschen nicht. Sie sind gut.
BECKMANN: Oh, sie sind gut. Und in aller Güte haben sie mich umgebracht. Totgelacht. Vor die Tür gesetzt. Davongejagt. In aller Menschengüte. Sie sind stur bis tief in ihre Träume hinein. Bis in den tiefsten Schlaf stur. Und sie gehen an meiner Leiche vorbei – stur bis in den Schlaf. Sie lachen und kauen und singen und schlafen und verdauen an meiner Leiche vorbei. Mein Tod ist nichts.
DER ANDERE: Du lügst, Beckmann!
BECKMANN: Doch, Jasager, die Leute gehen an meiner Leiche
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