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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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zuversichtlich eine Zigarette: Hoffentlich ist das hier kein Rübenacker. Rüben kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Aber zum Beispiel, wie findet ihr Radieschen? Die ganze Ewigkeit Radieschen?
    Die blauroten Lippen krümmten sich: Wenn nur die Regenwürmer nicht wären. Da muß man sich doch mächtig dran gewöhnen.
    Der in der Ecke sagte: Davon merkst du dann doch nichts mehr.
    Wer sagt das? fragte der Zigarettendreher, wie, wer sagt das?
    Da schwiegen sie. Und oben kreischte ein wütender Tod durch die Nacht. Schwarzblau zerriß er den Schnee. Da grinsten sie wieder. Und sie sahen die Balken über sich an. Aber die Balken versprachen nichts.
    Dann hustete der aus seiner Ecke her: Na, wir werden ja sehen. Darauf könnt ihr euch verlassen. Und das «verlassen» kam so heiser, daß das Öllicht schwankte.
    Vier Soldaten. Aber einer, der sagte nichts. Der glitt mit dem Daumen am Gewehr auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. Und er drückte sich an sein Gewehr. Aber er haßte nichts so, wie dieses Gewehr. Nur wenn es über ihnen brüllte, dann hielt er sich daran fest. Das Öllicht bog sich verzagt in seinen Augen. Da stieß der Zigarettendreher ihn an. Der Kleine mit dem gehaßten Gewehr wischte erschrocken über das blasse Bartgestrüpp um den Mund. Sein Gesicht war aus Hunger und Heimweh gemacht.
    Da sagte der Zigarettendreher: Du, gib mal die Ölfunzel her. Natürlich, sagte der Kleine, und nahm das Gewehr zwischen die Knie. Und dann kam seine Hand aus dem Mantel und nahm das Öllicht und hielt es ihm hin. Aber da fiel ihm das Licht aus der Hand. Und erlosch. Und erlosch.
    Vier Soldaten. Ihr Atem war zu groß und zu einsam im Dunkeln. Da lachte der Kleine laut und hieb sich die Hand auf das Knie:
    Junge, hab ich einen Tatterich! Habt ihr das gesehn? Die Funzel fällt mir glatt aus der Hand. So ein Tatterich.
    Laut lachte der Kleine. Aber im Dunkeln drückte er sich dicht an das Gewehr, das er so haßte. Und der in der Ecke dachte: Keiner ist unter uns, keiner, der nicht zittert.
    Der Zigarettendreher aber sagte: Ja, man zittert den ganzen Tag. Das kommt von der Kälte. Diese elende Kälte.
    Da brüllte das Eisen über ihnen und zerfetzte die Nacht und den Schnee.
    Die machen die ganzen Radieschen kaputt, grinste der mit den blauroten Lippen.
    Und sie hielten sich fest an den gehaßten Gewehren. Und lachten. Lachten sich über das dunkle dunkle Tal.

Der viele viele Schnee
    Schnee hing im Astwerk. Der Maschinengewehrschütze sang. Er stand in einem russischen Wald auf weit vorgeschobenem Posten. Er sang Weihnachtslieder und dabei war es schon Anfang Februar. Aber das kam, weil Schnee meterhoch lag. Schnee zwischen den schwarzen Stämmen. Schnee auf den schwarzgrünen Zweigen. Im Astwerk hängen geblieben, auf Büsche geweht, wattig, und an schwarze Stämme gebackt. Viel viel Schnee. Und der Maschinengewehrschütze sang Weihnachtslieder, obgleich es schon Februar war.
    Hin und wieder mußt du mal ein paar Schüsse loslassen. Sonst friert das Ding ein. Einfach geradeaus ins Dunkle halten. Damit es nicht einfriert. Schieß man auf die Büsche da. Ja, die da, dann weißt du gleich, daß da keiner drin sitzt. Das beruhigt. Kannst ruhig alle Viertelstunde mal eine Serie loslassen. Das beruhigt. Sonst friert das Ding ein. Dann ist es auch nicht so still, wenn man hin und wieder mal schießt. Das hatte der gesagt, den er abgelöst hatte. Und dazu noch: Du mußt den Kopfschützer von den Ohren machen. Befehl vom Regiment. Auf Posten muß man den Kopfschützer von den Ohren machen. Sonst hört man ja nichts. Das ist Befehl. Aber man hört sowieso nichts. Es ist alles still. Kein Mucks. Die ganzen Wochen schon. Kein Mucks. Na, also dann. Schieß man hin und wieder mal. Das beruhigt.
    Das hatte der gesagt. Dann stand er allein. Er nahm den Kopfschützer von den Ohren und die Kälte griff mit spitzen Fingern nach ihnen. Er stand allein. Und Schnee hing im Astwerk. Klebte an blauschwarzen Stämmen. Angehäuft überm Gesträuch. Aufgetürmt, in Mulden gesackt und hingeweht. Viel viel Schnee.
    Und der Schnee, in dem er stand, machte die Gefahr soleise. So weit ab. Und sie konnte schon hinter einem stehen. Er verschwieg sie. Und der Schnee, in dem er stand, allein stand in der Nacht, zum erstenmal allein stand, er machte die Nähe der andern so leise. So weit ab machte er sie. Er verschwieg sie, denn er machte alles so leise, daß das eigene Blut in den Ohren laut wurde, so laut wurde, daß man ihm nicht mehr entgehen konnte. So

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