Das geschwaerzte Medaillon
Abbild ihrer Rasse. Die Königin aller Löwen und meine Wächterin. Sie trat majestätisch an Realdins Seite und blieb stehen. Ihre Augen immer auf mich fixiert. Es schien als wäre die Felsspalte mit einem Mal viel größer, als hätte sie uns eben nicht noch beengend zusammengedrängt. Jetzt stand ich frei neben Keira und jeder von uns stand seinem Wächter gegenüber. Es war eine stumme Begrüßung. Ein Bild, wie es über Jahrtausende faszinierte Blicke auf sich gezogen hätte. Die Magie schwebte in der Luft und schien diese förmlich elektrisch aufzuladen. Ich lächelte glücklich, als ich Sebilia meine Hand auf die Stirn legte. Ihr Fell war unglaublich weich und ihre Augen so intelligent, dass es fast unheimlich war. Wie Realdin beugte sie sich unter meiner Berührung immer weiter zum Boden, bis sie mit dem Kopf auf Realdins Höhe war.
»Willkommen zurück«, erklang ihre wohlklingende Stimme, die wie stets von einem leisen Schnurren begleitet wurde. Es war, als hätten Keira und ich schon immer gewusst, was zu tun war. Wie im Gleichklang stiegen wir auf die Rücken unserer Wächter. Keira thronte auf dem prächtigen Adler und lächelte zu mir herüber. Dies war die Art, wie ein Seelenseher und ein Schützer die Felsspalte zum Ewigen Tal bereisten. Auf den Rücken ihrer Wächter. Realdin erhob sich in die neblige Luft, in dem Moment, als Sebilia den ersten Schritt tat. Es war, wie es sein sollte. Sebilia sprang von einem Felsen zum anderen, während Realdin über uns lautlos dahin glitt. Ich spürte meine nassen Klamotten nicht mehr. Merkte nicht, wie mir die Tropfen von der Nase fielen oder wie der Wind mir eine Gänsehaut verpasste. Alles, was ich in diesen Momenten wahrnahm, waren Sebilias rhythmische Bewegungen und das leise Pfeifen von Realdins Flügelschlägen. Es war unmöglich zu sagen, wie lange es dauerte oder wie schnell es vorbei war. Der Nebel wurde lichter und die Temperatur stieg mit jedem zurückgelegten Meter. Aus der bedrohlichen Atmosphäre der Enge wurde das befreiende Gefühl von unbegrenzter Weite. Vor uns erstreckte sich das Ewige Tal. Sein Gras war nicht weniger grün und die Melodie so mächtig und fesselnd wie damals. Sie vibrierte durch jede Faser meines Körpers und zwang mich zu hoffen. Keira schwebte über uns und ich ahnte den überwältigten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sicher war das Tal noch viel beeindruckender, als sie es sich vorgestellt hatte. Dieser Ort war wohl der Einzige, der die Fantasie des menschlichen Verstandes übertraf. Keine Erzählung, keine Dichtung, kein gemaltes Bild konnte wiedergeben, wie es wirklich war.
Das Vermächtnis der Erinnerungen
»Es ist unglaublich«, sagte Keira, als sie auf den Wurzeln des Singenden Baumes von Realdins Rücken abstieg. Die Wächter setzten sich an unsere Seiten und sahen mit uns zusammen auf das Ewige Tal hinab. Sebilia sah aus wie eine der ägyptischen Katzen. Sie thronte in unbewegter Haltung und strahlte eine Erhabenheit aus, wie ich sie noch nie empfunden hatte.
»Das Ewige Tal wird unter eurer Anwesenheit noch weiter erblühen.«
Ihre Stimme war durchzogen mit dem Beben ihres Schnurrens. »Es ist lange her, dass eine Alverra zusammen mit einer Kanterra hier war. Sowohl in Körper als auch in Seele«, fügte Realdin hinzu. Es war das erste Mal, dass sie sprachen, seit sie uns aus der Felsspalte geholt hatten.
»Ihr habt erfüllt, weshalb du das letzte Mal gekommen bist?«, Sebilia fragte uns beide, sah dabei aber nur mich an. Ich nickte.
»Der Zirkel der Seelensammler existiert nicht mehr.«
Sebilia schloss für einen Moment ihre Augen.
»Dann hat eure erneute Anwesenheit einen anderen Grund. Es scheint, als wäre die Welt im Aufruhr.«
Ich sah sie verwirrt an. Wie konnte sie das wissen? Als hätte sie meinen fragenden Gedanken gehört, fügte sie hinzu: »Der Singende Baum hat seine Melodie verändert.«
Ich lauschte unweigerlich den Geräuschen, die zusammen zu einer unwiderstehlichen Melodie verschmolzen. In der Tat schien sie anders, als meine Erinnerungen sie wiedergab. Ich hatte nicht gedacht, dass das möglich war. Ich hatte angenommen, dass der Baum seit jeher dasselbe Lied erklingen ließ. Wieder einmal lag ich falsch.
»Wie kommt es, dass er sein Lied verändert«, es war Keira, die diese Frage stellte.
»Es verändert sich mit der Geschichte der Welt«, beantwortete Realdin rätselhaft ihre Frage.
»Dann wisst ihr, was dort draußen passiert?«, fragte ich nun, begierig, endlich Antworten zu
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