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Das Gesetz

Das Gesetz

Titel: Das Gesetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Buchstaben schon Hand in Hand gegangen war. Daß aber dies alles vierzig Tage dauerte, darüber kann es kein Wundern geben.
    Ein paarmal kam Joschua, sein Jüngling, zu ihm hinauf, um ihm Wasser und Fladen zu bringen, ohne daß das Volk es gerade zu wissen brauchte; denn es dachte, Mose lebte dort oben von Gottes Nähe und seinem Gespräch allein, und aus strategischen Gründen wünschte Joschua es bei dieser Annahme zu lassen.
    Darum waren seine Besuche nur kurz und geschahen bei Nacht.
    Mose aber saß vom Aufgang des Tageslichtes über Edom bis zu seinem Erlöschen hinter der Wüste und werkte. Man muß ihn sich vorstellen; wie er dort oben saß, mit bloßem Oberleib, die Brust mit Haaren bewachsen und von sehr starken Armen, die er wohl von seinem mißbrauchten Vater hatte, – mit seinen weitstehenden Augen, der eingeschlagenen Nase, dem geteilten, ergrauenden Bart, und, an einem Fladen kauend, zuweilen auch hustend von den Metalldämpfen des Berges, im Schweiße seines Angesichts die Tafeln behaute, abmeißelte, glattscheuerte, wie er vor den an die Felswand gelehnten kauerte und sorglich im Kleinen schuftend seine Krähenfüße, diese alles vermögenden Runen in die Flächen einsenkte, nachdem er sie mit dem Stichel vorgezeichnet.
    Er schrieb auf die eine Tafel: Ich, Jahwe, bin dein Gott; du sollst vor mir keine anderen Götter haben.
    Du sollst dir kein Gottesbild machen.
    Du sollst meinen Namen nicht liederlich führen.
    Meines Tages gedenke, daß du ihn heiligst.
    Ehre deinen Vater und deine Mutter.
    Und auf die andere Tafel schrieb er: Du sollst nicht morden.
    Du sollst nicht ehebrechen.
    Du sollst nicht stehlen.
    Du sollst deinem Nächsten nicht Unglimpf tun als ein Lügenzeuge.
    Du sollst kein begehrlich Auge werfen auf deines Nächsten Habe.
    Dies war es, was er schrieb, unter Auslassung der tönenden Leerlaute, die sich von selbst verstanden. Und immer war ihm dabei, als stünden ihm Strahlen gleich einem Paar Hörner aus dem Stirnhaar hervor.
     
    Als Joschua das letzte Mal auf den Berg kam, blieb er ein wenig länger, zwei ganze Tage; denn Mose war noch nicht fertig mit seiner Arbeit, und sie wollten zusammen hinuntergehen. Der Jüngling bewunderte aufrichtig, was sein Meister geleistet, und tröstete ihn ob einiger Lettern, die trotz aller aufgewandten Liebe und Sorgfalt zu Mose’s Kummer zersplittert und unkenntlich waren. Aber Joschua versicherte ihm, daß der Gesamteindruck dabei keinen Abtrag leide.
    Was Mose zuletzt noch tat in Joschua’s Anwesenheit, war, daß er die vertieften Buchstaben mit seinem Blute ausmalte, damit sie sich besser hervorhöben.
    Kein anderer Farbstoff war zur Hand, womit es zu leisten wäre; so stach er sich mit dem Stichel in den starken Arm und wischte sorglich das tröpfelnde Blut in die Lettern, daß sie rötlich leuchtend im Steine standen. Als die Schrift trocken war, nahm Mose unter jeden Arm eine Tafel, gab seinen Stab, an dem er gekommen war, dem Jüngling zu tragen, und so stiegen sie miteinander vom Berge Gottes herab, dem Gehege des Volkes zu, gegenüber dem Berg in der Wüste.
     

XIX
    Als sie nun in gewisse Nähe des Lagers gekommen waren, in entfernte Hörweite, drang ein Geräusch zu ihnen, dumpf, mit Gequiek, wovon sie sich keine Rechenschaft zu geben wußten. Mose war es, der es als erster hörte, aber es war Joschua, der es zuerst zur Sprache brachte.
     
    »Hörst du den seltsamen Krach da«, fragte er, »den Tumult, das Getöse? Da ist was los, meiner Meinung nach, eine Rauferei, ein Handgemenge, wenn ich nicht irre. Und es muß heftig und allgemein sein, daß man’s hört bis hierher. Ist es, wie ich denke, so ist’s gut, daß wir kommen.«
    »Daß wir kommen«, antwortete Mose, »ist jedenfalls gut, aber soviel ich unterscheide, ist das keine Schlägerei und kein Raufgemenge, sondern eine Lustbarkeit und etwas wie ein Singetanz. Hörst du nicht höheres Gejohle und Paukenkrach? Joschua, was ist in die gefahren? Laß uns ausschreiten!«
    Damit nahm er seine beiden Tafeln höher unter die Achseln und schritt schneller aus mit dem kopfschüttelnden Joschua. »Ein Singetanz … Ein Singetanz …«, wiederholte er immer nur beklommen und schließlich in offenem Schrecken; denn daß man es mit keiner Balgerei zu tun hatte, bei der einer oben lag und der andere unten, sondern mit einem Gaudium in Einigkeit, litt bald keinen Zweifel mehr, und fragte sich nur, was für eine Art von Einigkeit das war, in der sie jodelten.
    Auch das fragte sich bald nicht

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