Das Gesicht des Fremden
gekannt haben, aber du wußtest genau, was Joscelin trieb. Du wußtest, daß er eine heimliche Einnahmequelle haben mußte, weil du über die Summen informiert warst, die er beim Spiel einsetzte. Mach mir nicht weis, du wärst nicht dahintergekommen, woher dieses Geld stammte. Dazu kenne ich dich zu gut. Du hättest dich mit dieser Ungewißheit nie zufriedengegeben, außerdem war dir klar, was für ein Schwindler und Betrüger Joscelin war; er konnte das Geld unmöglich auf legalem Weg beschafft haben. Menard…« Ihre Züge waren weich, voll Mitgefühl. »Du warst bisher immer ein anständiger, grundehrlicher Kerl. Willst du das jetzt zunichte machen, indem du uns belügst? Es wäre unsinnig – und zwecklos.«
Wieder zuckte er zusammen, als hätte man ihn geschlagen. Monk befürchtete einen Moment lang, er würde zusammenbrechen. Da richtete er sich kerzengerade auf und sah Callandra direkt in die Augen, als wäre sie ein lang erwartetes Exekutionskommando. Der Tod war nicht das schlimmste aller Übel.
»Was hat den Ausschlag gegeben? Edward Dawlish?« Jetzt war auch ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ihr als junge Männer immer zusammengesteckt habt und wie sehr dich sein Tod getroffen hat. Weshalb hat sich sein Vater mit dir überworfen?«
Menard ging der Wahrheit nicht länger aus dem Weg, aber er richtete seine Worte nicht an Callandra, sondern an seine Mutter. Man spürte deutlich, daß er ein Leben lang Liebe gesucht hatte und immer wieder zurückgestoßen worden war.
»Weil Joscelin ihm einredete, ich hätte Edward zum Spielen verführt, woraufhin er sich auf der Krim bis über die Ohren bei seinen Regimentskameraden verschuldet hätte und in Schande gestorben wäre – wenn Joscelin nicht alles für ihn geregelt hätte.«
Die grausame Ironie des Ganzen verfehlte ihre Wirkung bei keinem. Sogar Fabia schrak zusammen.
»Seiner Familie zuliebe«, fuhr Menard heiser fort, den Blick wieder auf Callandra gerichtet. »Schließlich war ich derjenige, der ihn angeblich in den Ruin getrieben hat.«
Er mußte würgen. »Natürlich existierten gar keine Schulden. Joscelin war nicht mal im selben Kriegsgebiet gewesen wie Edward, wie ich später herausfand. Es war nur ein weiterer Bestandteil seines Lügengebäudes – seiner Methode, zu Geld zu kommen.« Sein Blick glitt zu Hester. »Trotzdem hat es die Dawlishs nicht so schlimm erwischt wie Sie. Edwards Vater hat sich wenigstens nicht das Leben genommen. Es tut mir sehr leid, was mit Ihrer Familie passiert ist.«
»Er hatte kein Geld verloren«, ließ sich Monk plötzlich vernehmen. »Noch nicht. Sie brachten Joscelin um, ehe es soweit kommen konnte. Aber er hatte bereits alles in die Wege geleitet.«
Das folgende Schweigen war tödlich. Callandra schlug die Hände vors Gesicht. Lovel stand da wie betäubt; er hatte offensichtlich Schwierigkeiten, zu begreifen. Fabia schien nicht länger zu existieren; ihr war alles egal, auch was mit Menard geschah. Joscelin, ihr über alles geliebter Joscelin, war vor ihren Augen ermordet worden, auf eine neue und weitaus schlimmere Art. Man hatte ihr nicht nur die Gegenwart und die Zukunft gestohlen, man hatte ihr darüber hinaus jede Minute ihrer verklärten, süßen, kostbaren Vergangenheit genommen. Es war nichts übriggeblieben als eine Handvoll bitterer Staub.
Sie warteten, jeder von ihnen hin und hergerissen zwischen Hoffnung und Ausweglosigkeit. Nur Fabia hatte nichts mehr zu verlieren.
Monk merkte, wie sich seine Fingernägel in die Handflächen bohrten, so fest hatte er die Hände zu Fäusten geballt. Ihm konnte immer noch alles entgleiten. Menard konnte die Tat leugnen, ausreichende Beweise gab es nicht. Runcorn würde sich anhand der Fakten mit Vergnügen auf ihn stürzen, und wer wäre zur Stelle, um für ihn zu sprechen?
Die Stille war wie eine nach und nach verschärfte Folter, die mit jeder Sekunde unerträglicher wurde.
Menards Kopf drehte sich zu seiner Mutter um. Sie sah die Bewegung und wandte ihr Gesicht langsam ab.
»Ja«, sagte er ruhig. »Ich habe es getan. Ich habe ihn gehaßt. Nicht nur wegen dem, was er Edward Dawlish oder mir angetan hat, sondern weil er nicht die Absicht hatte, damit aufzuhören. Jemand mußte ihn aufhalten – bevor das Ganze herausgekommen und der Name Grey eine Umschreibung für einen Mann geworden wäre, der die Familien seiner gefallenen Waffengefährten ausbeutet. Er kam mir vor wie ein wesentlich subtilerer und
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