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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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    Er öffnete die Augen und sah nichts als fahles Grau über sich, eintönig wie ein Winterhimmel, bleiern und bedrohlich. Er lag flach auf dem Rücken; das Grau war eine Zimmerdecke, in die sich der Schmutz und die Ausdünstungen etlicher Jahre eingebrannt hatten.
    Er bewegte sich leicht. Die Pritsche, auf der er lag, war hart und kurz. Er machte den Versuch, sich aufzusetzen, und spürte augenblicklich einen starken Schmerz. Er hatte das Gefühl, in seine Brust würde ein Messer gebohrt, und sein linker Arm, der unter einem enormen Verband verschwunden war, tat unerträglich weh. Kaum hatte er sich halb aufgerichtet, klopfte es in seinem Kopf, als hätte sich sein Pulsschlag in einen Hammer verwandelt, der unerbittlich hinter seinen Augen auf und niedersauste.
    Wenig mehr als einen Meter neben seiner stand eine ähnliche hölzerne Bettstatt, auf der sich ein Mann mit teigiger Gesichtsfarbe unruhig herumwarf; das Hemd unter seiner durchlöcherten grauen Decke war schweißdurchtränkt. Dahinter folgte eine weitere Pritsche mit einem Paar Beinen darauf, das mit bluttriefenden Verbänden umwickelt war, dann wieder eine und wieder eine, bis zu dem bauchigen, schwarzen Ofen am anderen Ende des Raums und der rauchgegerbten Decke darüber.
    Er wurde unvermittelt von heller Panik übermannt, spürte ein brennendheißes Prickeln auf der Haut. Er war in einem Armenhaus! Was, um alles in der Welt, hatte er hier zu suchen?
    Aber es war hellichter Tag! Er brachte sich unbeholfen in eine andere Lage und besah sich den Raum genauer. Pritschen säumten die Wände. Auf jeder lag jemand, auch die im hintersten Winkel waren belegt. Das gab es in keinem Armenhaus im ganzen Land! Die Leute hätten auf den Beinen sein und arbeiten sollen, wenn schon nicht für den Geldbeutel des Hauses, dann wenigstens für den eigenen Seelenfrieden. Nicht einmal Kindern war es dort vergönnt, dem Laster des Müßiggangs zu frönen.
    Natürlich – es war ein Krankenhaus. Was sonst! Er ließ sich sehr vorsichtig zurücksinken. Erleichterung überwältigte ihn, als sein Kopf das rauhe Kissen berührte. Er hatte keine Ahnung, welchem Umstand er diesen Aufenthalt zu verdanken hatte, erinnerte sich an keinen Unfall – und doch war er zweifellos verletzt. Obwohl sein Arm steif und unförmig war, spürte er mittlerweile einen ziehenden Schmerz im Knochen, seine Brust tat bei jedem Atemzug weh, und in seinem Kopf tobte ein wahres Unwetter. Was war passiert? Es mußte ein schlimmerer Unfall gewesen sein: eine einstürzende Mauer, ein heftiger Tritt von einem Pferd, ein Sturz aus größerer Höhe vielleicht? Er erinnerte sich an nichts, nicht einmal an ein Gefühl der Angst.
    Er quälte sich noch mit seinem Gedächtnis ab, als plötzlich ein grinsendes Gesicht über ihm auftauchte und eine muntere Stimme rief:
    »Na so was, wir sind wohl mal wieder aufgewacht, wie?«
    Er starrte nach oben und versuchte, sich auf das mondförmige Gesicht über seinem Kopf zu konzentrieren. Es war breit und grob, hatte rissige Haut und grinste von einem Ohr zum andern, wodurch zwei Reihen schwärzlichbraune Zahnstummel zur Schau gestellt wurden.
    Er gab sich alle Mühe, den Nebel in seinem Kopf zu durchdringen.
    »Wieder?« fragte er verwirrt. Die Vergangenheit lag unter traumlosem Schlaf begraben, wie ein weißer Korridor ohne Anfang.
    »Sie sind mir vielleicht einer«, seufzte die Stimme gutmütig.
    »Können Sie sich von heut auf morgen an nix mehr erinnern, was? Würd mich gar nich wundern, wenn Se nicht mal Ihren eigenen Namen wüßten! Wie geht’s denn so? Was macht der Arm?«
    »Mein Name?« Nichts, absolute Leere.
    »Genau.« Die Stimme klang heiter und geduldig. »Und – wie isser, Ihr Name?«
    Dumme Frage, natürlich kannte er seinen Namen. Und ob! Er hieß… Die Sekunden strichen grausam leer vorbei.
    »Na?« drängte die Stimme.
    Er strengte sich wirklich an, doch alles, worauf er stieß, war die nächste helle Panik, die wie ein Schneesturm durch seinen Geist wirbelte, furchterregend und ohne erkennbaren Kern.
    »Sie haben’s vergessen!« stellte die Stimme stoisch und resigniert zugleich fest. »Hab ich mir schon gedacht. Tja, vor zwei Tagen waren die Polypen hier und haben irgendwas gefaselt, Sie würden ›Monk‹ heißen – ›William Monk‹«. Was habn Se denn ausgefressen, daß die Polypen hinter Ihnen her sind?« Zwei riesige Hände stauchten das Kissen zusammen und zogen die Decke glatt. »Habn Se vielleicht Lust auf ’n schönen warmen Tee? Richtig

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