Das Gift des Boesen
Licht auf. Ein Schwefelholz fauchte und waberte wenige Schritte von Steen entfernt im Dunkel, und als sein Schein sich beruhigt hatte, wurde die Gestalt sichtbar, die es entzündet hatte.
Der Mann reichte Steen - der selbst nicht sonderlich groß war -nur bis zum Bauchnabel. Er trug nicht mehr Umhang und Kapuze wie draußen in der Nacht, sondern - als wollte er damit die drückende Schwüle verhöhnen - einen kostbaren, pelzbesetzten Brokatmantel und eine Mütze aus demselben samtenen Stoff, die gleichfalls mit Pelz umrandet war. Schwarzes Haar wölkte wie Drahtwolle unter der Mütze hervor. Das knochige Gesicht verbarg sich teilweise unter einem gepflegten Bart, der wie mit Silber durchwoben war.
Ein Zwerg, dachte Steen beklommen und scheiterte bei dem Versuch, das Alter des Gnomen zu schätzen, der in diesem Moment sagte: »Ich rieche deine Angst. Sie ist berechtigt. Ich kann dich nicht wieder gehen lassen - es sei denn, wir würden uns einig werden .«
»Einig werden?« Steen wurde stocksteif. Er glaubte zu wissen, was der Zwerg von ihm erwartete: daß er ihm schwor, nichts von dem, was er beobachtet hatte, an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Aber wie konnte er glauben, der Uhrmacher würde sich auf solch ein Ansinnen einlassen?
Steen überwand seine Starre und straffte sich, als könnte es schon genügen, gerade dazustehen, um dem Kleinwüchsigen klarzumachen, wie lächerlich seine Drohung war. Auf der anderen Seite . empfand Steen selbst sie keineswegs als so lächerlich. Zumal er in diesem Moment entdeckte, daß er sich geirrt hätte: Es gab kein Schwefelholz, von dem die Helligkeit ausging. Die linke Hand des Zwergs war es, die von einem Flammenkranz umgeben war.
»Ich habe dieses Haus ausgewählt«, sagte sein Gegenüber, »um eine Saat zu legen, die meine spätere Herrschaft stützen wird.«
Steen blinzelte. Herrschaft? In diesem Augenblick war er überzeugt, die einzige »normale« Erklärung, die es für das obskure Geschehen gab, in das er verstrickt worden war, gefunden zu haben: Er hatte einen Verrückten vor sich - einen völlig Übergeschnappten!
Er faßte neuen Mut, machte sogar einen Schritt auf den fahlhäutigen Mann zu, obwohl dieser seine unterschwellige Bedrohlichkeit keineswegs verloren hatte. »Wovon redest du? Stimmt es nicht, was sich die Leute erzählen? Daß du ein Alchimist und Goldmacher bist, einer, der -«
Der Zwerg sagte: »Ich braue Wertvolleres als Gold.«
»Wertvolleres als Gold?«
»Willst du es sehen?«
Steen zögerte. Dann zeigte er auf die brennende Hand des Mannes. »Wie machst du das? Was für ein Gauklerkunststück ist das?«
Der Zwerg lachte. Die Hand erlosch. Dafür züngelten Flammen aus seinem Mund, ohne daß sie den Bart versengten. Aus dem seltsamen Feuer dröhnte erneut die Frage: »Willst du es sehen?«
»Nein!«
Steen spürte Kälte wie Eiswasser durch die reißenden Ströme seines Körpers rauschen. Er wollte sich abwenden und zur Tür fliehen, als auch sein Krückstock Feuer fing und er ihn in seiner Panik losließ. Als er zu Boden fiel, löste sich der Stock in weiße Asche auf.
Aus Steens Kehle löste sich ein röchelnder Laut.
»Beruhige dich«, sagte der Zwerg verblüffend sanft und doch eindringlich.
Der fliegende Puls des Uhrmachers beruhigte sich übergangslos. Ein betäubendes Wohlgefühl stülpte sich über die aufkeimende Panik und Hysterie. Steen wußte nicht, wie ihm geschah. Erst recht nicht, als der jetzt von Kopf bis Fuß in Flammen stehende Mann sagte: »Solange du hier bist, brauchst du keine Krücke mehr. - Komm jetzt!«
Für einen Moment hatte Steen noch das Gefühl, die Schwäche würde ihm das lahme Bein wegziehen und ihn zu Boden zerren. Dann merkte er, daß das Bein nicht länger lahm war. Daß es ...
Mund und Augen sprangen in qualvoller Gebärde auf. Er wollte etwas rufen, aber die Stimme versagte ihm, und die Tränen, die seine Augen füllten, raubten ihm die klare Sicht auf seine Umgebung.
Er hörte, wie der Zwerg sich entfernte.
Und dann setzten sich seine beiden gesunden Beine in Bewegung, ohne daß er selbst es ihnen befohlen hätte.
Sie gehorchten einem anderen.
Einem, der nicht verrückt, nicht wahnsinnig, sondern etwas viel Schlimmeres war.
Warum fürchte ich mich dann nicht länger vor ihm? dachte Steen. Wo ist meine Angst geblieben?
Er lauschte in sich, ohne in seinem Schritt innezuhalten. Gleichzeitig merkte er, wie sich zwischen seinen Beinen etwas regte. Sein Glied war so lange schlaff gewesen,
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