Das gläserne Tor
sie nicht schnell genug handelte, würde sich Geeryu
ihr widmen, und er würde es nicht verhindern können. Doch da spritzte Wasser auf die Nihaye und machte die gehärtete Luft sichtbar. Geeryu begriff, was geschah. Ihr Mund verzog sich vor ungezügelter Wut. Ihre Hände zuckten vor. Aber jetzt konnte er sehen, was auf ihn zukam. Er konnte ausweichen.
»Weiter«, rief er, ohne sich zu Grazia umzuwenden. »Lass nicht nach!«
Er erkannte, dass die Barriere keine einzige große Fläche war. Es gab Lücken. Die Lufthindernisse tauchten auf und verschwanden wieder; gleichzeitig wurde er weiterhin von unsichtbaren Fäusten gepeinigt, an denen das Wasser abperlte. Es war nicht leicht, ihnen auszuweichen, auch wenn er sie sehen konnte. Als er an der Stirn getroffen wurde, gaben seine Knie nach. Er schüttelte sich, versuchte die Benommenheit abzuwerfen. Das Wasser, das ihn beständig von der Seite benetzte, wirkte belebend. Grazia war näher gekommen. Er sah nur ihre Füße. Langsam schritt sie über das Gras. Plötzlich blieb sie stehen, als sei sie mit den Zehen gegen irgendetwas gestoßen.
»Pass auf! Sie will dich einschließen!«
Und wahrhaftig sah es so aus, als wolle die Nihaye um Grazia eine Säule weben, wie um den Gott. Anschar warf sich zu Boden, packte Mallayurs Schwert und hieb es im Hochspringen gegen Geeryu. Es prallte ab, aber er erkannte die Regelmäßigkeit in ihren Bewegungen. Er passte sich ihr an, wenn er die Schläge abwehrte, und stieß es unvermittelt in eine auftauchende Lücke, seitlich neben ihrem Kopf. Das Schwert trennte ihr Ohr ab.
Geeryu riss den Mund zu einem schier unmenschlichen Schrei auf. Ihre Barrieren fielen, die Wassertropfen sackten zu Boden. Anschar stieß ihr das Schwert in die Brust.
»Du hast eine gefährliche Waffe, aber du hättest lernen sollen,
damit zu fechten«, sagte er und zog es wieder heraus. Sie gab einen würgenden Laut von sich und stürzte ins Gras.
»Vater …«, keuchte sie. »Hilf mir!«
Der Ruf war umsonst, der Luftgott weilte in einer anderen Welt. Geeryu kauerte auf allen vieren. Sie hob den Kopf und streckte eine Hand aus, wie um nach etwas zu greifen. Anschar beugte sich über sie, wollte ihr den Kopf abschlagen, da sah er eine blutüberströmte Gestalt heranstürzen. Mallayur warf sich ihm entgegen und riss ihn von den Füßen. Die Hände seines Herrn legten sich um seinen Hals. Verärgert darüber, dass er sich so einfach hatte überrumpeln lassen, ließ er das Schwert fahren, packte ihn an den Schultern und stieß ihm im Liegen das Knie in den Bauch. Mallayur ließ ihn los und krümmte sich aufstöhnend. Auf den Knien, nach dem Schwert tastend, starrte Anschar auf den Irrsinn, der sich vor seinen Augen abspielte. Grazia hatte die Arme angewinkelt, die Finger abgespreizt und sich in eine Wasserwolke gehüllt, die ihre Tropfen nach allen Seiten verspritzte. Bis zu den Knien stand sie in einem Wassergefängnis, gewoben von den Händen der Nihaye, die bäuchlings im Gras liegend gegen den eigenen Tod ankämpfte. Doch ihre Macht schwand, sie würde Grazia nicht mehr einschließen können. Das Gefängnis des Gottes war brüchig geworden, Wasserstrahlen spritzten daraus hervor. Es riss auf, ließ das Wasser frei. Der Gott schien darin zu tanzen, während er sich die Freiheit erkämpfte. Anschar sprang auf, zerrte Mallayur zu der schwindenden Säule und schleuderte ihn hinein. Mallayurs Schrei erstarb in einem entsetzten Gurgeln. Er wedelte mit den Armen, während das Wasser ihn umhüllte, ihn ertränkte und mit einem ohrenbetäubenden Knall den Behälter endgültig bersten ließ.
Das Wasser des Gottes spritzte nach allen Seiten; überall qualmte und zischte es, als es auf die Flammen traf. Ringsum brannte der Palast und erhellte den Nachthimmel. Anschar
rannte zu Grazia, die in einer Wasserlache lag. Der Gedanke, dieser seltsame Kampf könne sie überfordert und gar getötet haben, machte ihn rasend, sodass er sich zwingen musste, nur leicht gegen ihre Wange zu klopfen.
Sie öffnete kurz die Augen. »Anschar«, murmelte sie. Im Tosen der Flammen hörte er sie kaum. »Ist der Gott frei?«
Er warf einen kurzen Blick dorthin, wo die Säule gewesen war. Der Gott war fort, und nur noch Mallayurs Leiche auf dem nassen Gras erinnerte an das, was geschehen war. Wo war Geeryu? Offenbar war sie mit letzter Kraft in die Büsche gekrochen, wo sie hoffentlich verbrannte. Glühende Asche wehte durch den Garten und entflammte das Gras, wo es noch trocken war. Auch
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