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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zugegen; die Begegnung hat ihm einen starken Eindruck gemacht und blieb nicht ohne Folgen, wir wissen manches darüber durch Tegularius und dann durch Designori selbst, der in dieser für uns nicht ganz erhellbaren Zeit seines Lebens bald wieder sein Freund, ja sein Vertrauter wurde. Bei jener ersten Wiederbegegnung nach Jahrzehnten des Vergessens stellte wie üblich der Sprecher die Herren der neu gebildeten Staatskommission den Magistern vor. Als unser Meister den Namen Designori hörte, war er überrascht, ja beschämt, denn er hatte den seit langen Jahren nicht mehr gesehenen Kameraden seiner Jugend nicht auf den ersten Blick wiedererkannt. Während er ihm nun, auf die offizielle Verbeugung und Grußformel verzichtend, freundlich die Hand entgegenstreckte, blickte er ihm aufmerksam ins Gesicht und versuchte zu ergründen, kraft welcher Veränderungen es sich dem Erkanntwerden durch einen
alten Freund hatte entziehen können. Auch während der Sitzung ruhte sein Blick des öftern auf dem einst so vertrauten Gesicht. Übrigens hatte ihn Designori mit Ihr und dem Magistertitel angeredet, und er hatte ihn zweimal bitten müssen, ehe jener sich entschließen konnte, sich der alten Anrede zu bedienen und ihn wieder Du zu nennen.
    Knecht hatte Plinio als einen stürmischen und heiteren, mitteilsamen und glänzenden Jüngling gekannt, als einen guten Schüler und zugleich einen jungen Weltmann, der sich den weltfremden jungen Kastaliern überlegen fühlte und dem es oft Spaß machte, sie herauszufordern. Nicht frei von Eitelkeit war er vielleicht gewesen, aber offenen Wesens, ohne Kleinlichkeit und für die meisten Altersgenossen interessant, anziehend und liebenswürdig, ja für manche blendend durch seine hübsche Erscheinung, sein sicheres Auftreten und das Aroma von Fremdheit, das ihn als Hospitanten und Weltkind umgab. Jahre später, gegen Ende seiner Studentenzeit, hatte Knecht ihn wiedergesehen, da war er ihm verflacht, vergröbert und seines frühern Zaubers ganz beraubt erschienen und hatte ihn enttäuscht. Man war verlegen und kühl auseinandergegangen. Jetzt schien er wieder ein ganz anderer. Vor allem schien er seine Jugend und Munterkeit, seine Freude am Mitteilen, Streiten, Austauschen, sein aktives, werbendes, nach außen gekehrtes Wesen völlig abgelegt oder verloren
zu haben. So, wie er bei der Begegnung den einstigen Freund nicht auf sich aufmerksam gemacht und nicht als erster begrüßt, so, wie er noch nach der Nennung ihrer Namen den Magister nicht mit du angeredet hatte und auf die herzliche Aufforderung dazu nur widerstrebend eingegangen war, so war auch in seiner Haltung, seinem Blick, seiner Sprechweise, seinen Gesichtszügen und Bewegungen an die Stelle der früheren Angriffslust, Offenheit und Beschwingtheit eine Verhaltenheit oder Gedrücktheit getreten, ein Sichsparen und Sichzurückhalten, eine Art Bann oder Krampf, oder auch vielleicht nur Müdigkeit. Darin war der Jugendzauber ertrunken und erloschen, aber nicht minder die Züge von Oberflächlichkeit und allzu derber Weltlichkeit, auch sie waren nicht mehr da. Der ganze Mann, vor allem aber sein Gesicht, schien jetzt gezeichnet, zum Teil zerstört, zum Teil geadelt, durch den Ausdruck des Leidens. Und während der Glasperlenspielmeister den Verhandlungen folgte, blieb ein Teil seiner Aufmerksamkeit stets bei dieser Erscheinung und zwang ihn, darüber zu sinnen, was für eine Art von Leiden es wohl sein möge, das diesen lebhaften, schönen und lebensfrohen Mann so beherrschte und so gezeichnet hatte. Es schien ein fremdes, ein ihm unbekanntes Leiden zu sein, und je mehr sich Knecht diesem suchenden Sinnen hingab, desto mehr fühlte er sich in Sympathie und Teilnahme zu diesem Leidenden hingezo
gen, ja es sprach bei diesem Mitleid und dieser Liebe leise ein Gefühl mit, als sei er diesem so traurig aussehenden Freund seiner Jugend etwas schuldig geblieben, als habe er etwas an ihm gutzumachen. Nachdem er über die Ursache von Plinios Traurigkeit manche Vermutung gefaßt und wieder aufgegeben hatte, kam ihm der Gedanke: das Leid in diesem Gesicht sei nicht gemeiner Herkunft, es sei ein edles, vielleicht tragisches Leid, und sein Ausdruck sei von einer in Kastalien unbekannten Art, er erinnerte sich, einen ähnlichen Ausdruck zuweilen auf nichtkastalischen, auf Weltmenschengesichtern gesehen zu haben, freilich niemals so stark und fesselnd. Auch auf Bildnissen von Menschen der Vergangenheit kannte er Ähnliches, auf Bildnissen von manchen

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