Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
sich selbst sein Urteil gesprochen. Vor seiner Liquidation bittet
er den Führer noch um die Erlaubnis zu einem letzten Glasperlenspiel, das ihm gestattet wird. Er demonstriert darin »den Kampf der unreinen, streberischen Mächte gegen den reinen Geist, mit scheinbaren Fortschritten der Macht und Politik, die sich aber langsam als lauter Auflösungen erweisen, und zuletzt, wo das ursprüngliche Geist-Thema sich zum Macht-Thema umgekehrt hat, stellt sich heraus, daß alles vom Geist verwandelt und durchsetzt ist«. Ein zuversichtlicher Schluß, – obwohl er auch diesmal mit dem Opfer Knechts endet, ein Schluß, der die Praktiken Hitlers bereits lange vor seinem Regierungsantritt vorwegnahm und es somit unmöglich gemacht hätte, das Buch in Deutschland zu veröffentlichen. Das gilt ebenso für die drei Frühfassungen der Einführung, worin Hesse, wie er im Januar 1955 schrieb, seinem »Bedürfnis nach Protest gegen die Barbarei Genüge tat. In meinem Manuskript gab es einige Abschnitte, namentlich in der Vorgeschichte, die mit Leidenschaft gegen die Diktatoren und die Vergewaltigung des Lebens und des Geistes Stellung nahmen; diese in der endgültigen Fassung größtenteils gestrichenen Kampfansagen wurden in meinem deutschen Freundeskreis heimlich abgeschrieben und verbreitet. Die Dichtung erschien noch während des Krieges in der Schweiz. Sie wurde von meinem deutschen Verleger in einer Abschrift, in der die krassesten antihitlerischen Stellen weggelassen waren, den
deutschen Zensoren zwecks Druckerlaubnis vorgelegt, wurde von diesen aber natürlich abgelehnt. Später hatte die kämpferischprotestierende Funktion des Buches für mich keine Bedeutung mehr.«
Inzwischen, sechzig Jahre nachdem der braune Spuk vorbei ist, kann Das Glasperlenspiel noch immer als Provokation für jedes totalitäre Regime, vor allem aber als erprobenswertes pädagogisches Modell und als Ausblick in die Chancen interdisziplinärer Datenverarbeitung gelesen werden, auch wenn das »Feuilletonistische Zeitalter« noch lange nicht vorüber ist, mit der scheingeistigen Beliebigkeit eines Kulturbetriebes, der einzig auf Medieneffekte bedacht ist. Angesichts dieser Orientierungslosigkeit hat Hesse seinen Verleger Siegfried Unseld noch im Oktober 1956 an das Ideal von J. G. Herders Humanitätsbriefen erinnert, das er in all seinen Büchern, insbesondere aber in diesem Alterswerk zu aktualisieren versucht hatte: »Die heutige Intelligenz, zumindest die deutsche, hat völlig vergessen, wie genau die alte Formulierung ist, die das Wahre, das Schöne und das Gute als die drei Erscheinungsformen des Ewigen bezeichnet.«
Auszug aus dem Nachwort zu Band 5 von Hermann Hesses »Sämtlichen Werken«, Frankfurt am Main 2001.
Adolf Muschg
D as Glasperlenspiel, dieser altmodisch verfaßte Erziehungsroman, ist ein gutes Beispiel, wie das Harmlosigkeitsgerücht um Hermann Hesse täuscht. Es ist in der Tat das, was es fingiert: ein prophetisches Buch. Was es gegen Feuilletonleser und Kreuzworträtsellöser einzuwenden hat, trifft auf die vollverkabelten Kunden des elektronischen Weltdorfes unvermindert zu: die Quiz- und Toto-Zivilisation, der neue Analphabetismus der Multiple Choice, die sich bei näherem Zusehen auf den binären Schwachsinn des 0 oder 1, Schwarz oder Weiß, Jacke oder Hose reduziert – dieser ganze freie Markt der Vanitäten hätte am Glasperlenmeister einen zuverlässigen Nichtmitspieler . . .
Man kann in der Reaktion einiger Poetae docti von George Steiner über Peter Handke bis Botho Strauß, ihren Versuchen, das Hoch-und-Heilige wiederzubeleben, allerhand Kastalisches entdecken. Mit der notwendigen Nachbemerkung, daß an Hesses Kastalien nichts war, was man schwarz auf weiß nach Hause tragen könnte – auch nicht, und vielleicht zu allerletzt, den Meisterbrief Kastaliens. Verbindlich ist der nur als ironisches Papier. Kastalien ist, nach
Hesses Willen, nicht das Reich derer, die sich auf eine Leistung berufen. Es ist das Reich derer, von denen eine Leistung ausgeht. Von ihrer Unentbehrlichkeit dürfen sie selbst nichts wissen. Kastalien selbst bliebe ein Stück feuilletonistisches Zeitalter, ginge sein Spielanreiz nicht auf den Leser über: als Energie zur Veränderung und Kraft der Verwandlung. Ob man die Lehre Kastaliens verstanden hat, zeigt sich darin, ob man sich von ihr wieder löst. Das Spiel kann erst dem gelingen, der es hinter sich läßt. Und dann redet er nicht mehr von Gelingen. Für die Macht de profundis
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