Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
sonderlich wichtig. Uns ist nur jener ein Held und eines besonderen Interesses würdig, der von Natur und durch Erziehung in den Stand gesetzt wurde, seine Person nahezu vollkommen in ihrer hierarchischen Funktion aufgehen zu lassen, ohne daß ihr doch der starke, frische, bewundernswerte Antrieb verlorengegangen wäre, welcher den Duft und Wert des Individuums ausmacht. Und wenn zwischen Person und Hierarchie Konflikte entstehen, so sehen wir gerade diese Konflikte als Prüfstein für die Größe einer Persönlichkeit an. So wenig wir den Rebellen billigen, den die Begierden und Leidenschaften zum Bruch mit der Ordnung treiben, so ehrwürdig ist uns das Andenken der Opfer, der wahrhaft Tragischen.
Dort nun, bei den Helden, bei diesen wirklich vorbildhaften Menschen, scheint uns das Interesse für die Person, für den Namen, für Gesicht und Gebärde erlaubt und natürlich, denn wir sehen auch in der vollkommensten Hierarchie, in der reibungslosesten Organisation keineswegs eine Maschinerie, aus toten
und an sich gleichgültigen Teilen zusammengesetzt, sondern einen lebendigen Körper, aus Teilen gebildet und von Organen belebt, deren jedes seine Art und seine Freiheit besitzt und am Wunder des Lebens teilhat. In diesem Sinne bemühten wir uns um Nachrichten über das Leben des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht, und namentlich um alles von ihm selbst Geschriebene, sind auch mehrerer Handschriften habhaft geworden, die wir für lesenswert halten.
Was wir über Knechts Person und Leben mitzuteilen haben, ist unter den Mitgliedern des Ordens, und namentlich unter den Glasperlenspielern, gewiß manchen schon ganz oder teilweise bekannt, und schon aus diesem Grunde wendet unser Buch sich nicht bloß an diesen Kreis, sondern hofft auch über ihn hinaus auf verständnisvolle Leser.
Für jenen engeren Kreis bedürfte unser Buch keiner Einleitung und keines Kommentars. Da wir jedoch dem Leben und den Schriften unsres Helden auch außerhalb des Ordens Leser wünschen, fällt uns die etwas schwierige Aufgabe zu, für jene weniger vorgebildeten Leser eine kleine volkstümliche Einführung in den Sinn und in die Geschichte des Glasperlenspieles dem Buch voranzuschicken. Wir betonen, daß diese Einleitung eine volkstümliche ist und sein will und keinerlei Anspruch darauf erhebt, die innerhalb des Ordens selbst diskutierten Fragen über Probleme des Spiels und seiner Geschichte zu
klären. Für eine objektive Darstellung dieses Themas ist die Zeit längst noch nicht gekommen.
Man erwarte also von uns nicht eine vollständige Geschichte und Theorie des Glasperlenspieles, auch würdigere und geschicktere Autoren als wir wären dazu heute nicht imstande. Diese Aufgabe bleibt späteren Zeiten vorbehalten, falls die Quellen sowie die geistigen Voraussetzungen dazu nicht vorher verlorengehen. Und ein Lehrbuch des Glasperlenspiels soll dieser unser Aufsatz ja noch weniger sein, ein solches wird auch niemals geschrieben werden. Man erlernt die Spielregeln dieses Spiels der Spiele nicht anders als auf dem üblichen, vorgeschriebenen Wege, welcher manche Jahre erfordert, und keiner der Eingeweihten könnte je ein Interesse daran haben, diese Spielregeln leichter erlernbar zu machen.
Diese Regeln, die Zeichensprache und Grammatik des Spieles, stellen eine Art von hochentwickelter Geheimsprache dar, an welcher mehrere Wissenschaften und Künste, namentlich aber die Mathematik und die Musik (beziehungsweise Musikwissenschaft) teilhaben und welche die Inhalte und Ergebnisse nahezu aller Wissenschaften auszudrücken und zueinander in Beziehung zu setzen imstande ist. Das Glasperlenspiel ist also ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unsrer Kultur, es spielt mit ihnen, wie etwa in den Blütezeiten der Künste ein Maler mit den Farben seiner Palette gespielt haben mag. Was
die Menschheit an Erkenntnissen, hohen Gedanken und Kunstwerken in ihren schöpferischen Zeitaltern hervorgebracht, was die nachfolgenden Perioden gelehrter Betrachtung auf Begriffe gebracht und zum intellektuellen Besitz gemacht haben, dieses ganze ungeheure Material von geistigen Werten wird vom Glasperlenspieler so gespielt wie eine Orgel vom Organisten, und diese Orgel ist von einer kaum auszudenkenden Vollkommenheit, ihre Manuale und Pedale tasten den ganzen geistigen Kosmos ab, ihre Register sind beinahe unzählig, theoretisch ließe mit diesem Instrument der ganze geistige Weltinhalt sich im Spiele reproduzieren. Diese Manuale, Pedale und Register nun
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