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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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liegt. Seit wir – im großen ganzen wenigstens – darauf verzichtet haben, schöpferisch mit jenen Generationen zu wetteifern, seit wir auch jenem Kult der Vorherrschaft des Harmonischen und der rein sinnlichen Dynamik im Musizieren entsagt haben, der etwa von Beethoven und der beginnenden Romantik an durch zwei Jahrhunderte die Musikübung beherrscht hat, glauben wir – auf unsre Weise natürlich, auf unsre unschöpferische, epigone, aber ehrfürchtige Weise! – das Bild jener Kultur, deren Erben wir sind, rei
ner und richtiger zu sehen. Wir besitzen nichts mehr von der schwelgerischen Produktionslust jener Zeiten, es ist uns ein beinahe unbegreifliches Schauspiel, wie im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert sich die musikalischen Stile so lange in unveränderter Reinheit erhalten konnten, wie unter der Riesenmasse an damals geschriebener Musik sich überhaupt nichts Schlechtes scheint auffinden zu lassen, wie noch das achtzehnte Jahrhundert, das der beginnenden Degeneration, ein Feuerwerk von Stilen, Moden und Schulen emportreibt, raschlebig strahlend und selbstbewußt – aber wir glauben in dem, was wir heute klassische Musik nennen, das Geheimnis, den Geist, die Tugend und die Frömmigkeit jener Generationen verstanden und als Vorbild übernommen zu haben. Wir halten zum Beispiel heute wenig oder nichts von der Theologie und der kirchlichen Kultur des achtzehnten Jahrhunderts oder von der Philosophie der Aufklärungszeit, aber wir sehen in den Kantaten, Passionen und Vorspielen Bachs die letzte Sublimierung der christlichen Kultur.
    Übrigens hat das Verhältnis unsrer Kultur zur Musik noch ein uraltes und höchst ehrwürdiges Vorbild, ihm bringt das Glasperlenspiel hohe Verehrung dar. Im sagenhaften China der »alten Könige«, erinnern wir uns, war der Musik im Staats- und Hofleben eine führende Rolle zuerteilt; man identifizierte geradezu den Wohlstand der Musik mit dem der Kultur und
Moral, ja des Reiches, und die Musikmeister hatten streng über der Wahrung und Reinhaltung der »alten Tonarten« zu wachen. Verfiel die Musik, so war das ein sicheres Zeichen für den Niedergang der Regierung und des Staates. Und die Dichter erzählten furchtbare Märchen von den verbotenen, teuflischen und dem Himmel entfremdeten Tonarten, zum Beispiel der Tonart Tsing Schang und Tsing Tse, der »Musik des Untergangs«, bei deren frevelhaftem Anstimmen im Königsschloß alsbald der Himmel sich verfinsterte, die Mauern erbebten und stürzten und Fürst und Reich zu Falle kamen. Statt vieler anderer Worte der alten Autoren führen wir einige Stellen aus dem Musikkapitel in Lü Bu We's »Frühling und Herbst« hier an:
    »Die Ursprünge der Musik liegen weit zurück. Sie entsteht aus dem Maß und wurzelt in dem großen Einen. Das große Eine erzeugt die zwei Pole; die zwei Pole erzeugen die Kraft des Dunkeln und des Lichten.
    Wenn die Welt in Frieden ist, wenn alle Dinge in Ruhe sind, alle in ihren Wandlungen ihren Oberen folgen, dann läßt sich die Musik vollenden. Wenn die Begierden und Leidenschaften nicht auf falschen Bahnen gehen, dann läßt sich die Musik vervollkommnen. Die vollkommene Musik hat ihre Ursache. Sie entsteht aus dem Gleichgewicht. Das Gleichgewicht entsteht aus dem Rechten, das Rechte entsteht aus dem Sinn der Welt. Darum vermag man
nur mit einem Menschen, der den Weltsinn erkannt hat, über die Musik zu reden.
    Die Musik beruht auf der Harmonie zwischen Himmel und Erde, auf der Übereinstimmung des Trüben und des Lichten. Die verfallenden Staaten und die zum Untergang reifen Menschen entbehren freilich auch nicht der Musik, aber ihre Musik ist nicht heiter. Darum: je rauschender die Musik, desto melancholischer werden die Menschen, desto gefährdeter wird das Land, desto tiefer sinkt der Fürst. Auf diese Weise geht auch das Wesen der Musik verloren.
    Was alle heiligen Fürsten an der Musik geschätzt haben, war ihre Heiterkeit. Die Tyrannen Giä und Dschou Sin machten rauschende Musik. Sie hielten die starken Klänge für schön und Massenwirkungen für interessant. Sie strebten nach neuen und seltsamen Klangwirkungen, nach Tönen, die noch kein Ohr gehört; sie suchten einander zu überbieten und überschritten Maß und Ziel.
    Ursache des Verfalls des Staates Tschu war, daß sie die Zaubermusik erfanden. Rauschend genug ist ja eine solche Musik, aber in Wahrheit hat sie sich vom Wesen der Musik entfernt. Weil sie sich vom Wesen der eigentlichen Musik entfernt hat, darum ist diese Musik

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