Das Glasperlenspiel
betrieben - von dieser Seite her gewann nnsre heutige Form der Geistespflege und des
Glasperlenspiels wichtige Antriebe, namentlich nach der kontemplativen Seite hin. Auch an den neuen Einsichten in das Wesen unsrer Kultur und in die Möglichkeiten ihres
Fortbestehens hatten die Morgenlandfahrer Anteil, nicht so sehr
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durch wissenschaftlichanalytische Leistungen als durch ihre auf alten Geheimübungen beruhende Fähigkeit des magischen Eintretens in entlegene Zeiten und Kulturzustände.
Es gab unter ihnen zum Beispiel Musikanten und Sänger, von welchen versichert wird, daß sie die Fähigkeit besaßen, Musiken früherer Epochen in der vollkommenen alten Reinheit
auszuführen, also zum Beispiel eine Musik von 1600 oder 1650
genau so zu spielen und zu singen, als seien alle später hinzugekommenen Moden, Verfeinerungen, Virtuositäten noch unbekannt. Es war dies zu jener Zeit, wo die Sucht nach Dynamik und Steigerung alles Musizieren beherrschte und wo man über der Ausführung und der »Auffassung« des Dirigenten beinahe der Musik selbst vergaß, etwas Unerhörtes; es wird berichtet, daß die Zuhörer teils vollkommen verständnislos blieben, teils aber aufhorchten und zum erstenmal in ihrem Leben Musik zu hören glaubten, als ein Orchester der Morgendlandfahrer zum erstenmal öffentlich eine Suite aus der Zeit vor Händel vollkommen ohne Schwellungen und
Abschwellungen spielte, mit der Naivität und Keuschheit einer andern Zeit und Welt. Einer vom Bunde hat in der Bundeshalle zwischen Bremgarten und Morbio eine Bachorgel gebaut, vollkommen so, wie Johann Sebastian Bach sie sich hätte bauen lassen, wenn er die Mittel und Möglichkeit dazu besessen hätte.
Der Orgelbauer hat nach einem bei seinem Bunde schon damals geltenden Grund- satz seinen Namen verborgen gehalten und sich Silbermann genannt, nach seinem Vorgänger im
achtzehnten Jahrhundert.
Wir haben uns damit den Quellen genähert, aus welchen unser heutiger Kulturbegriff entstanden ist. Eine der wichtigsten war die jüngste der Wissenschaften, die Musikgeschichte und musikalische Ästhetik, sodann ein bald darauf erfolgter Aufschwung der Mathematik, hinzu kam ein Tropfen öl aus der Weisheit der Morgenlandfahrer und, in engstem Zusammenhang mit der neuen Auffassung und Sinndeutung der Musik, jene
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ebenso heitere wie resignierte, tapfere Stellungnahme zum Problem der Kulturlebensalter. Es wäre unnütz, hier viel davon zu reden, diese Dinge sind jedem bekannt. Das wichtigste Ergebnis dieser neuen Einstellung, vielmehr dieser neuen Einordnung in den Kulturprozeß war ein sehr weitgehender Verzicht auf das Hervorbringen von Kunstwerken, die
allmähliche Loslösung der Geistigen aus dem Weltbetrieb und -
nicht minder wichtig und die Blüte des Ganzen: das
Glasperlenspiel.
Auf die Anfänge des Spiels hat die schon bald nach 1900, noch mitten in der Hochblüte des Feuilletons, einsetzende Vertiefung der Musikwissenschaft den denkbar größten Einfluß geübt. Wir, Erben dieser Wissenschaft, glauben die Musik der großen schöpferischen Jahrhunderte, besonders die des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, besser zu kennen und in gewissem Sinn sogar besser zu verstehen, als alle früheren Epochen (die der klassischen Musik selbst einbegriffen) es taten.
Natürlich haben wir Nachfahren ein ganz und gar anderes Verhältnis zur klassischen Musik, als es die Menschen der schöpferischen Epochen hatten ;unsre vergeistigte und von resignierter Melancholie nicht immer genügend freie Verehrung der echten Musik ist etwas völlig anderes als die holde naive Musizierfreudigkeit jener Zeiten, welche wir geneigt sind als glücklichere zu beneiden, sooft wir über eben dieser ihrer Musik die Zustände und Schicksale vergessen, in welchen sie entstand.
Wir sehen seit Generationen nicht mehr, wie es noch fast das ganze zwanzigste Jahrhundert tat, die Philosophie oder auch die Dichtung, sondern die Mathematik und die Musik als die große bleibende Leistung jener Kulturperiode an, welche zwischen dem Ende des Mittelalters und unsern Zeiten liegt. Seit wir - im großen ganzen wenigstens - darauf verzichtet haben, schöpferisch mit jenen Generationen zu wetteifern, seit wir auch jenem Kult der Vorherrschaft des Harmonischen und der rein sinnlichen Dynamik im Musizieren entsagt haben, der etwa von
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Beethoven und der beginnenden Romantik an durch zwei Jahrhunderte die Musikübung beherrscht hat, glauben wir - auf unsre Weise natürlich, auf unsre
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