Zipfelklatscher
Während sich meine neue Männerbekanntschaft mit dem Verschluss meines trägerlosen Büstenhalters abmüht, geht weit im Osten über dem Watzmann die Sonne auf, und von den zehn Gläsern Schampus in meinem Blut ist nicht mehr besonders viel zu spüren. Am liebsten würde ich jetzt mit den Fingern ungeduldig auf die Matratze trommeln. Denn eigentlich fängt gerade mein Arbeitstag an, hier auf der Fraueninsel, oder genauer: darum herum, auf dem Chiemsee. Der See ist unter einem Hauch von Frühnebel verborgen, und soweit ich das von Nils’ Hotelbett aus beurteilen kann, verspricht der Tag traumhaft zu werden.
Wahrscheinlich bekommt Nils den BH nicht auf, weil er so stramm sitzt. Die Dessous für heute Nacht habe ich mir nämlich aus dem alten Kleiderschrank meiner Zwillingsschwester geklaut, und Fränzi hatte schon immer ein etwas handlicheres Format als ich.
»Geht’s?«
Ich lächle Nils ermutigend zu.
»Schkommschonklar.«
»Ich mein ja nur. Das ist nämlich kein Keuschheitsgürtel!«
Langsam muss hier mal was vorwärtsgehen, und ich drehe Nils meinen Rücken zu, damit er besser sieht, was er tut. Er heißt mit vollem Namen Nils von Böckel, ist plastischer Chirurg aus Hannover und eine ziemliche Partykanone. Seit etwa einer Stunde ist er außerdem nackt. Eine unerwartet ergiebige Nacht also, nur dass ich es saumäßig eilig habe und Nils leider Probleme hat, sich zu konzentrieren.
Mein Plan hat bis jetzt einwandfrei funktioniert: Die piekfeine Hochzeitsgesellschaft im »Hotel zum See« hatte sich um Mitternacht bereits einen kollektiven Tunnelblick angesoffen, und von den zwei Chefs, Geschäftsführer Rudi und Hotelbesitzer Hans, war nichts mehr zu sehen. Der Champagner und der Obstler standen zur freien Verfügung einfach so auf der Bar und alle waren blau. Niemandem fiel auf, dass ich eigentlich gar nicht eingeladen war, und der Böckel umkreiste mich quasi sofort mit wehendem Frack und leicht schlingerndem Hüftschwung.
Zu It’s Raining Men . Dem Klassiker auf jeder Hochzeit.
Bei Xanadu pfefferte ich meine Pumps, bei Staying Alive er die zum Frack passenden Lackschuhe in die Ecke des Partysaals. Und nach drei Stunden pausenlosem Discofox hatte der nicht gerade zart gebaute Nils mich so an die Wand getanzt, dass ich bei Marmor, Stein und Eisen bricht mit Blasen an den Fußsohlen und den Worten »Aber ich! Ich breche jetzt, und zwar zusammen!« in seine Arme gesunken bin. Tja, und dann sind wir in der Zirbelsuite gelandet, und jetzt komme ich aus der Nummer nicht mehr raus. Obwohl gerade irgendwie die Luft raus ist. Denn im Besoffen-den-BH-Auffummeln stellt sich mein One-Morning-Stand ausgesprochen blöd an, erst recht für jemanden, der sein Geld mit Feinmotorik verdient. Jetzt lässt er auch noch die gepflegten Chirurgenhände sinken und schnuppert skeptisch. Er muss sich dabei mit der Hand am Bettrand abstützen, schließlich ist er voll wie ein Haus. Ich bin später eingestiegen und höchstens voll wie ein Vogelhäuschen. Na ja, sagen wir mal: wie eine mittelgroße Hundehütte.
»Da heißt es, dieses Hotel ist das beste Haus am Platz, und trotzdem riecht es überall nach Fisch!«
Das ist mir jetzt außerordentlich peinlich, denn ich finde den Nils durchaus okay und mir ist leider völlig klar, was er da riecht.
Nämlich mich. Weil ich gestern die geräucherten Renken mal wieder ohne Handschuhe filetiert habe. Dabei habe ich gestern Abend extra lang gebadet und mich von oben bis unten mit Ringelblumenbalsam eingecremt. Aber Fischfinger habe ich immer noch, obwohl die Calendula-Creme duftet wie alle Wohlgerüche Arabiens auf einmal. (Den parfümierten Drei-Liter-Tiegel hat die Schwester Sebastiana meinem Vater gegen seinen eingewachsenen Zehnagel aufgeschwatzt, damit er in ihrem Klosterladen auch mal was anderes kauft als immer nur Nopi [1] . Seitdem haben wir in unserem Zwei-Personen-Haushalt Ribluba für die nächsten zwanzig Jahre.) Ich habe nicht besonders viel Erfahrung darin, mich inkognito auf eine Party zu schleichen und dabei auch noch jemanden abzuschleppen, denn schließlich ist das gerade mein erster Versuch in diese Richtung, und ich kann mich nicht mehr so richtig erinnern, was ich mir eigentlich dabei gedacht habe, außer dass mir gestern plötzlich die Decke meines Zimmers auf den Kopf gefallen ist. Manchmal kann ich es einfach nicht glauben, dass ich wieder hierher zurückgekehrt bin, obwohl alles so gut lief mit der Uni und mit meinen Plänen, nach München zu gehen wie meine
Weitere Kostenlose Bücher