Das Glück wartet in Virgin River
Angebot, für einen reichen Züchter das Gestüt zu managen. Solange er weg war, hat er meinen Großeltern immer Geld geschickt. Und sooft er konnte, ist er nach Hause gekommen. Dabei hat es ihm auch nichts ausgemacht, mal nach Arizona zurückzutrampen, wenn er nur wenigstens ein paar Tage daheim sein konnte. Ich war nie besonders lange von ihm getrennt.“
Lilly wurde ganz sentimental, als sie sich vorstellte, wie einjunger Mann Hunderte von Meilen per Anhalter unterwegs war, um seinen kleinen Sohn zu sehen. „Ihr müsst euch sehr nahe sein, nehme ich an.“
„Das kann man so sagen, aber wenn mein Großvater streng ist, mein Vater war in der Regel noch strenger. Und wenn man die Männer der Familie Tahoma streng findet, muss man erst mal die Frauen kennenlernen. Meine Güte“, sagte er kopfschüttelnd und legte gedankenverloren eine Hand aufs Ohr. „Ich glaube, irgendwann wächst mir da noch mal ein Tumor an der Stelle, wo meine Grandma mich immer am Ohr gepackt und es dann so verdreht hat. Mann!“
Lilly musste lachen. „Du scheinst es aber ganz gut überlebt zu haben.“
„Das überrascht niemanden mehr als mich!“
„Dann freust du dich also, hier zu sein?“
„Das wird sich zeigen.“ Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans. „Ich war nicht wirklich begeistert von der Idee. Ich meine, es ist mein letztes Schuljahr, und ich habe Freunde zu Hause.“
Zu Hause, dachte sie. Dann erzählte sie ihm, dass auch sie bei ihren Großeltern aufgewachsen war. „Meine Grandma ist gestorben, als ich noch klein war, und als ich dann dreizehn wurde, hat mein Grandpa entschieden, dass es Zeit für eine Veränderung sei. Er glaubte, dass meine Möglichkeiten im Reservat zu begrenzt wären, deshalb beschloss er, wegzuziehen. Ich weiß also, was so ein Umzug bedeutet.“
„Na ja, es gibt ja auch was Positives. Mit meiner Tante, meinem Onkel und meinen Cousins in Grace Valley komme ich gut klar. Dann werde ich eben richtig gefährlich integrativen Football spielen, anstatt immer nur im Team des Reservats. Dad sagt, er will mit mir jagen gehen. Das alles sind Sachen, die mir gefallen. Hinzu kommt …“ Er zuckte mit den Schultern. „Hinzu kommt, dass mein Dad mich braucht.“
„Oh?“
„Also er will, dass ich bei ihm bin. Davon hat er schon immer gesprochen, dass wir beide endlich mal in demselben Countywohnen. Das ist ihm wirklich wichtig. Und er hat immer alles getan, was er konnte, um für …“ Mitten im Satz brach er plötzlich ab, legte eine Hand an die Wand und spähte durch die hintere Stalltür nach draußen. „Oh-oh“, sagte er und richtete den Blick wieder auf Lilly. „Wir sollten wohl lieber nicht lachen.“
Lilly erhob sich von der Bank und schaute durch die Doppeltür über die Weide und den Weg hinunter. Clay führte Streak nach Hause, wobei er offenbar leicht hinkte. „Oh-oh“, wiederholte sie.
„Tja, er dürfte ein bisschen stinkig sein …“
„Dein Dad oder Streak?“
„Für mich sieht es so aus, als hätte Streak gewonnen. Aber wie ich meinen Dad kenne, war das dann aber auch sein absolut letzter Sieg.“
Als Clay näher kam, zeigte sich, dass weit mehr zur Debatte stand als nur dieses Hinken. Von oben bis unten war er mit Staub und Schmutz bedeckt, hatte einen roten Fleck auf der Wange, und die Fingerknöchel der Hand, in der er die Zügel hielt, waren zerkratzt und blutig. Und als er dann ganz nahe war, konnten sie sehen, dass sich ein hübscher violetter Bluterguss auf der verletzten Wange ausbreitete.
Seine Miene war sehr finster. Dabei wirkte er weniger verärgert, eher wie in tiefer Kontemplation versunken. Als er sah, dass Lilly da war, blieb er zwar stehen, nickte ihr auch kurz und verschlossen zu, ging aber gleich an ihr vorbei in den Stall.
Lilly beschloss abzuwarten, wie Gabe damit umging. Zum einen, weil sie neugierig war, zum anderen, weil sie nicht recht wusste, was sie sagen sollte.
Gabe streckte eine Hand aus. „Soll ich mich um ihn kümmern, Dad?“
„Nein“, erwiderte Clay. „Der verfluchte Dreckskerl wird so lange warten müssen, bis ich fertig bin.“ Er warf Lilly einen Blick zu und entschuldigte sich für seine Ausdrucksweise. Dann führte er das Pferd, das noch immer den ungeliebten Sattel auf dem Rücken trug, so wie es war zu seiner Box.
Auch wenn sie sich noch so große Mühe gab, Lilly konnteeinfach nicht zusehen, ohne etwas zu sagen. „Wo hast du dich verletzt? Fußgelenk, Knie, Hüfte, Rücken?“
„Alles Obengenannte“,
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