Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
in ihr, die ihr ganzes Inneres erfüllte. »Es ist viel geschehen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, Marianka.«
Diese nickte. »Bei uns ebenfalls.« Sie wies mit dem Kopf auf ihren Mann und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Lass Piet etwas Zeit. Nicht alles, was er zu berichten hat, wird ihm leichtfallen.«
Ihre Blicke begegneten sich.
»Natürlich«, erwiderte Cristin.
Kurze Zeit später war sie wieder allein in der Kammer. Piet hatte das Feuer im Kamin geschürt und gemeinsam mit Marianka darauf bestanden, auf Rafael zu achten, damit sie ruhen konnte. Ihren Protest hatten die beiden einfach mit einem Lachen fortgewischt. So lag sie nun in weiche Decken gehüllt und lauschte dem Knistern des Feuers und dem stürmischen Wind, der die Fensterläden ihres Hauses klappern ließ.
Vor Cristins innerem Auge zogen die Ereignisse des Tages noch einmal vorbei. Mirkes zu einer Fratze verzogenes Gesicht drängte sich ihr auf, das Messer, das plötzlich in der Hand der jungen Frau aufblitzte, dann der stechende Schmerz am Hinterkopf. Unwillkürlich tastete sie nach der Wunde, Baldo hatte sie jedoch gut versorgt, sie würde rasch heilen. Dieser ungezügelte Hass in Mirkes Augen hatte sie vollends erschüttert, und selbst bei der Erinnerung an diese Momente schüttelte es sie abermals. Wie Giftpfeile hatten Mirkes Worte sie getroffen.
Was war nur aus dem jungen Mädchen geworden, das einst in ihrer Lübecker Spinnerei gearbeitet hatte? Cristin zweifelte nicht daran, dass Mirke sie ernsthaft verletzt oder gar umgebracht hätte, wenn Lump sich nicht auf sie gestürzt hätte. Sie biss sich auf die Lippen. Nun, da die Aufregung sich etwas gelegt und ihr Sohn das Licht der Welt erblickt hatte, holten die Schreckensbilder sie mit all ihrer Grausamkeit wieder ein. Cristin schloss gequält die Augen und wartete, bis das Entsetzen allmählich nachließ. Nachdem Baldo sie auf dem Boden liegend vorgefunden hatte, war er im Begriff gewesen, die Büttel nach der Geflüchteten ausschicken zu lassen, aber sie hatte ihn gebeten, es nicht zu tun.
In diesem Moment fragte sie sich allerdings, ob es die richtige Entscheidung gewesen war. Wer sagte ihr, dass diese Verrückte nicht wiederkam? Ihre Gedanken schweiften zu dem Hund zurück, ihrem Retter. Lump. Seit dem Morgen hatte er nicht ein Mal gebellt. Das sah ihm gar nicht ähnlich, der Hund wäre normalerweise längst zu ihr ins Obergeschoss gelaufen.
Unzählige Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während sie still in ihrem Bett lag. Ihr von der Geburt erschöpfter Leib schrie nach Ruhe, doch ihr Geist arbeitete fieberhaft. Obwohl Piets und Mariankas Besuch sie über alle Maßen freute, sorgte sie sich auch insgeheim. Es konnte nicht allein die Sehnsucht nach ihr gewesen sein, die ihren Bruder mit seiner Frau mitten im Winter dazu getrieben hatte, die weite Reise von Polen hierher anzutreten. Während der kalten Jahreszeit fanden im Wawel regelmäßig Feste statt, an denen Gaukler, Akrobaten und Minnesänger dem Hofstaat mit ihren Attraktionen die Zeit vertrieben. Wieso war Piet, der allerorts bekannte Narr, nicht dort?
Baldo hatte gerade seinen mit Schnee bedeckten Umhang an den Haken gehängt und die Stiefel zum Trocknen nahe dem Kamin in die Küche gestellt, als die Lohnarbeiterin und Elisabeth heimkehrten. Wie Minna trug auch das Mädchen einen kleinen Korb mit frischem Gemüse und Brot im Arm. Ihr kleines Gesicht strahlte, und sie stellte ihn ab, um Baldo zu begrüßen.
»Wo ist Mama? Geht es ihr gut?«
Er gab ihr einen innigen Kuss. »Oh ja, mein Schatz. Aber ich nehme an, du möchtest deinen kleinen Bruder begrüßen?«
Elisabeths Augen wurden groß. »Einen … einen Bruder?«
»Ja, Schatz. Er heißt Rafael und ist noch ganz klein.«
Minna, die das Gespräch verfolgt hatte, klatschte in die Hände. »Das Kindchen ist schon da?« Ihre Stimme überschlug sich beinahe. »Oh, Herr Schimpf, wie schön! Die beiden sind hoffentlich wohlauf?«
Entgegen seiner Gewohnheit zog er die Ältere in die Arme und tätschelte ihr die Schulter. »Es ist alles bestens, Minna. Cristins Bruder und seine Frau sind überraschend zu Besuch gekommen, sie werden einige Tage bleiben. Die beiden werden dir gefallen. Und wir werden etwas Gutes zu essen brauchen, denn ich habe Ludewig für morgen Abend eingeladen. Immerhin gibt es einen Grund zu feiern, oder?«
Minna lächelte breit. »Ja, und ob! Wie gut, dass wir noch eingekauft haben, nicht wahr, Elisabeth?« Ihr rundes Gesicht nahm
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