Das Gold der Piraten
mit breiter Krempe. Als er Frederico die rechte Hand auf die Schulter legte, bemerkten die Kinder, dass ihm zwei Finger fehlten. Gewiss hatte er sie im Kampf verloren.
»Käpt’n Rotbart, gut, dass Sie hier sind!«, sagte Hagen.
»Allerdings«, grollte der Kapitän. »Und wie ich sehe, komme ich gerade noch rechtzeitig. Wenn Frederico mich nicht gerufen hätte, dann wäre es jetzt zu spät. Ihr da, nehmt den Kindern die Fesseln ab und bringt sie in meine Kajüte. Und wehe, ihr krümmt ihnen ein Haar!«
Die Piraten murrten leise, befolgten aber den Befehl. Niemand wagte es, dem Kapitän zu widersprechen. Ben, Lara und Nepomuk liefen vorsichtig zurück auf das Schiff, wo ihnen die Fesseln abgenommen wurden.
Erleichtert atmete Lara aus und schenkte Frederico ein Lächeln. »Danke, Frederico. Ohne dich wären wir jetzt wahrscheinlich Fischfutter.«
Der Piratenjunge errötete und starrte zu Boden. »Kommt mit, ich bringe euch zum Käpitän«, sagte er.
Die drei folgten ihm zur Kapitänskajüte, dem größten Raum auf dem Schiff, der über eine schmale Leiter zu erreichen war. Auf einem Tisch aus grobem Holz lag eine Seekarte. In Regalen an der Wand türmten sich alte Bücher, bei deren Anblick Nepomuks Augen leuchteten. Wie gern hätte er einen Blick auf diese Bibliothek geworfen!
Der Kapitän nahm seinen dreispitzigen Hut ab und kratzte seinen wild wuchernden roten Haarschopf. »Wo kommt ihr her?«, fragte er.
Ben übernahm das Reden. »Aus der Stadt. Weit weg von hier. Wir sind in einem kleinen Boot gefahren und in Seenot geraten. Zum Glück war Ihr Schiff in der Nähe.«
Der Kapitän glaubte kein Wort von Bens Flunkerei, doch er schwieg und musterte die Kleider der Kinder. Er öffnete eine Truhe und zog ein paar Kleidungsstücke daraus hervor. »Hier, zieht das an. Sonst bekommt ihr noch mehr Schwierigkeiten in euren seltsamen Gewändern.«
Lara fand ein Kleid, das ihre Größe hatte, aber mindestens ebenso schmutzig und zerlumpt war wie die Garderobe der Mannschaft. Sie roch daran und rümpfte die Nase. »Und das soll ich tragen?«
»Nun mach schon«, flüsterte Nepomuk und wagte einen Blick über die Schulter. »So, wie der Kapitän aussieht, frisst er uns mit Haut und Haaren, wenn wir nicht gehorchen.«
Das war ein Argument. Rasch zogen die drei sich um. Kurz darauf sahen sie selbst aus wie Piraten: Ben und Nepomuk trugen Hemden, Kniebundhosen und Lederstiefel, Lara ein Kleid mit langem Rock, dessen Saum über den Boden fegte. Sie war sichtlich neidisch, dass sie keine Hosen anziehen durfte.
Kapitän Rotbart musterte sie zufrieden. Nur bei Nepomuks Brille blieb er skeptisch. »Diese seltsamen Monokel, nimm sie ab. So etwas gibt es hier nicht.«
»Aber ohne die kann ich nichts sehen.«
Der Kapitän brummte missmutig, ließ Nepomuk aber in Ruhe. Er goss sich einen Becher Wein ein und leerte ihn in einem Zug. »Vielleicht hat Hagen recht und eure Ankunft ist ein Zeichen. Ein glückliches Zeichen! Passiert schließlich nicht jeden Tag, dass ein paar Kinder vom Himmel fallen, bei allen Höllenteufeln. Hiermit ernenne ich euch zu Matrosen der Königin der See , dem schönsten und freiesten Schiff der sieben Weltmeere.«
Nepomuk fühlte sich fast ein bisschen stolz, und Ben und Lara schien es ähnlich zu ergehen.
»Seid ihr richtige Piraten?«, fragte Nepomuk vorsichtig.
Kapitän Rotbart ging zum Fenster und blickte nachdenklich hinaus auf das weite Meer. »Wir sind Seemänner, mein Junge. Fischer, Perlentaucher, Handlungsreisende. Zu Freibeutern wurden wir, weil wir keine Wahl hatten.« Er setzte seinen Hut auf und straffte sich, als habe er schon zu viel gesagt. »Frederico, zeige den drei ihre Quartiere. Danach sollen sie sich auf Deck nützlich machen.«
»Aye, Käpt’n«, sagte Frederico.
Ben, Lara und Nepomuk folgten Frederico unter Deck, wo es dunkel und feucht war. Im Schein der Öllampen sahen sie ärmliche Vorratskammern, in denen gepökelter Fisch, Trockenobst, Zwieback und Wasser gelagert wurden. Die Mannschaftsquartiere waren im Bauch des Schiffes. Zahllose Hängematten hingen zwischen den Balken und Querstreben. Die wenigen persönlichen Sachen, die die Seeleute besaßen, baumelten in Säcken von der Decke. Alles wackelte und schaukelte, mal stärker, mal schwächer. Je länger Nepomuk die wankenden Planken unter seinen Füßen spürte, umso flauer wurde ihm im Magen. Er wusste aus Büchern, was eine »Seekrankheit« war. Es selbst zu erleben, war allerdings etwas ganz anderes.
Weitere Kostenlose Bücher