Das Gold von Sparta
Wolkenbergen über den Horizont. In einer Stunde wäre das Gewitter hier, und Gott möge dann denen helfen, die töricht genug waren, sich auf dem Schwarzen Meer von einem Unwetter überraschen zu lassen.
Oder, dachte Bondaruk, möge Gott ihnen auch nicht helfen. Es war ja egal. Unwetter und Krankheiten und, ja, sogar Kriege waren die Mittel der Natur, um eine Auslese zu treffen und die Herde zu verkleinern. Er hatte wenig für Leute übrig, die nicht genügend Vernunft oder Kraft besaßen, sich vor den Gefahren des Lebens zu schützen. Es war eine Lektion, die er einmal als kleiner Junge gelernt und die er dann nie wieder vergessen hatte.
Bondaruk war 1960 in einem Dorf südlich von Aschgabat, Turkmenistan, hoch oben im Kopet-Dag-Gebirge geboren worden. Seine Mutter und sein Vater und deren Eltern hatten als Bauern und Schäfer in jener geografischen Grauzone zwischen dem Iran und der damaligen Sowjetunion gelebt. Wie alle Bewohner des Kopet-Dag-Gebirges waren sie zäh und selbstständig und pochten auch mit Nachdruck auf ihre Unabhängigkeit, indem sie sich keiner der beiden Nationen zugehörig fühlten. Der Kalte Krieg hatte jedoch andere Pläne mit Bondaruk und seiner Familie.
Im Zuge der iranischen Revolution von 1979 und der Absetzung des Schah hatte die Sowjetunion weitere militärische Einheiten in das Grenzgebiet nördlich des Iran entsandt, und Bondaruk, damals neunzehn Jahre alt, hatte miterleben müssen, wie die Unabhängigkeit seines Dorfes mehr und mehr beschnitten wurde, als Stützpunkte der Roten Armee und Raketenabwehrstellungen in ihrer einst so friedlichen Bergheimat eingerichtet wurden.
Das sowjetische Militär behandelte die im Kopet-Dag-Gebirge ansässige Bevölkerung wie unzivilisierte Wilde, zog wie eine Landplage durch die Dörfer, requirierte Lebensmittel und Frauen, machte zum Vergnügen Jagd auf das Vieh und trieb iranische revolutionäre Elemente zu Massenerschießungen zusammen. Es war völlig egal, dass Bondaruk und seine Leute so gut wie nichts von der Welt dort draußen oder auch von Politik wussten. Ihre muslimische Religion und die geografische Nähe zum Iran machten sie bereits verdächtig.
Ein Jahr später erschienen zwei Kampfpanzer zusammen mit zwei Kompanien Soldaten der Roten Armee am Dorfrand. Ein Soldatentrupp war in der vorangegangenen Nacht in einen Hinterhalt geraten, berichtete der Kommandant Bondaruk und den anderen Dorfbewohnern. Acht Männer waren dabei ums Leben gekommen. Man hatte ihnen die Kehlen durchgeschnitten und sie ihrer Kleidung, der Waffen und sämtlicher persönlicher Habe beraubt. Die Dorfältesten hätten fünf Minuten Zeit, die Verantwortlichen zu benennen, sonst müsse die gesamte Dorfgemeinschaft dafür büßen.
Bondaruk hatte schon davon gehört, dass turkmenische Widerstandskämpfer auf dem Land von iranischen Kommandoeinheiten unterstützt wurden, doch soweit er wusste, waren keine Dorfbewohner daran beteiligt. Da er die Schuldigen nicht präsentieren konnte, flehte der Dorfhäuptling den sowjetischen Kommandeur um Gnade an und wurde für seine Mühe erschossen. Während der nächsten Stunde beharkten die Panzer das Dorf mit Granaten, bis es vollständig in Trümmern lag und brannte. In dem Durcheinander wurde Bondaruk von seiner Familie getrennt. Er und eine Handvoll Jungen zogen sich tiefer in die Berge zurück – weit genug, um vor den Soldaten sicher zu sein, aber immer noch nahe genug, um während der Nacht beobachten zu können, wie ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht wurde. Am nächsten Tag kehrten sie in das Dorf zurück und begannen mit der Suche nach Überlebenden. Sie fanden allerdings mehr Tote als Lebende, darunter auch Bondaruks Familie, die in der Moschee Schutz gesucht hatte und unter deren Trümmern begraben wurde.
Irgendetwas in ihm veränderte sich schlagartig, als hätte Gott vor seinem alten Leben einen dunklen Vorhang heruntergelassen. Er sammelte die stärksten und wehrhaftesten Dorfbewohner, Männer wie Frauen, um sich und zog mit ihnen in die Berge, um fortan das Leben von Partisanen zu führen.
Innerhalb eines halben Jahres war Bondaruk nicht nur in eine Führungsposition unter seinen Mitkämpfern aufgestiegen, sondern auch zu einer Legende unter der turkmenischen Landbevölkerung geworden. Bondaruks Kämpfer schlugen stets in den Nächten zu, überfielen sowjetische Patrouillen und Lastwagenkonvois, um sich kurz darauf wie Gespenster ins Kopet-Dag-Gebirge zurückzuziehen. Ein Jahr nach der Zerstörung seines
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