Die tote Autorin (German Edition)
Die Hochzeit
L iebster, ich habe dir nichts zu bieten ausser meine Liebe, mein Herz und meinen Körper. Ich gebe dir all das im Vertrauen, dass du gut damit umgehen kannst.»
Niemand im Saal zweifelte an der Ehrlichkeit dieser Worte, als Lora ihrem Ehemann «ja» sagte. Auch nicht der 45-jährige Journalist Sven, der die Trauung für das Fernsehen aufnahm. Er war für einen Arbeitskollegen eingesprungen, der am Abend zuvor einen Unfall gehabt hatte. Sven arbeitete meistens unter enormem Stress und kam kaum zu Schlaf, aber er mochte seinen Beruf und er liebte es herumzufliegen um den Leuten Gesprächsstoff zu liefern. Er brauchte die Oberflächlichkeit, den Zeitdruck und die Macht des Fernsehens. Dadurch musste er sich seinen eigenen Problemen nicht stellen. Diese Trauung erinnerte ihn aber daran. Er musste an seine Ex-Frau Chrissy denken, die er aus Liebe geheiratet hatte, die es aber fertig gebracht hatte, seine Gefühle zu ersticken.
Kein einziges Mal in den zehn Jahren ihrer Ehe hatte sie ihn so angesehen, wie Lora jetzt ihren Ehemann ansah. Ihre Augen glänzten und ihr ganzer Körper schien zu strahlen. Sie hatte eine natürliche Art, wirkte fast zerbrechlich und gleichzeitig spürte man ihre Energie, ihre Kraft. Sie schien unverletzbar zu sein. Eine faszinierende Mischung. Das Gesicht ihres Ehemannes hingegen zeigte kaum eine Regung. Das Paar passte überhaupt nicht zusammen und Sven fragte sich, ob die Leute an seiner Hochzeit auch das Gleiche gedacht hatten, als er Chrissy sein Ja-Wort gab. Immer wieder fragte er sich, wie er sich nur in dieser Frau so hatte täuschen können und vor allem, woher er die Geduld gefunden hatte, zehn Jahre lang zu glauben, dass sie sich durch seine Liebe verändern würde.
Nach all den Jahren fing er an sich zu distanzieren, ging ihr bewusst aus dem Weg und stürzte sich in die Arbeit. Seine Freizeit verbrachte er allein mit dem gemeinsamen Sohn Mario, den er über alles liebte. Die beiden verband eine tiefe Freundschaft, die ihnen immer Halt gab, egal, wie das Leben mit ihnen spielte. Chrissy ihrerseits warf sich dem Nachbarn an den Hals. Sie wusste, dass Sven sie liebte und sich niemals scheiden lassen würde. Aber sie hatte ihn unterschätzt. Er erwischte sie überraschend im eigenen Ehebett. Chrissy und ihr Liebhaber waren miteinander beschäftigt, sodass sie nicht merkten, dass sie beobachtet wurden. Die Worte, die Chrissy über ihn sagte, versetzten ihm einen Stich ins Herz. Es tat so weh, dass er seit jenem Tag nie wieder eine Erektion gehabt hatte.
Sven verlor auch später kein Wort darüber. Einige Wochen danach, als er das Haus betrat, sass seine Frau am Tisch in der geräumigen Küche, die er liebevoll für sie geplant und bauen lassen hatte. Sie weinte und war außer sich. Vor ihr lag die Vorladung zur Scheidung. Sie schaute Sven an, als würde sie die Welt nicht mehr verstehen, als wäre sie im falschen Film. Er liebte sie doch und er liebte Mario über alles. Wie konnte er ihr das nur antun? Sie stellte ihm endlos viele Fragen. Sven blieb ruhig und schwieg. Diese Frau übertraf sich mit dem Theater, das sie gerade spielte. Sie ahnte überhaupt nicht, dass er über ihr Doppelleben Bescheid wusste.
Er spürte Wut in sich aufsteigen, Wut gegenüber sich selbst, Wut, dass er all die Jahre Gefühle für sie verschwendet hatte, Wut darüber, zugelassen zu haben, dass sie mit seiner Liebe auf diese Art spielte. Doch wenn er ehrlich war, hatte er damit rechnen müssen, dass sie fremd gehen würde, denn er war schon lange nicht mehr bereit gewesen, sie in die Arme zu nehmen. Er war es müde dauernd darum zu betteln, dass er sie körperlich lieben durfte. Er war einfach zu erschöpft, um weiter um ihre Liebe zu kämpfen und müde, müde ständig zu geben, zu verstehen, sich anzupassen. Er hatte immer an das Gute im Menschen geglaubt, aber nicht einmal die Geburt von Mario hatte sie besänftigt. Niemals hatte er bei ihr Mitgefühl für andere Menschen erlebt. Und gerade diese Frau hatte er geheiratet und geliebt.
Er schaute Lora an und ihn schmerzte die Vorstellung, dass sie vielleicht mit diesem kalten Mann an ihrer Seite das Gleiche erleben würde. Seine Gedanken sprangen hin und her zwischen Loras Hochzeit, den Erinnerungen an seine Scheidung und das Ende einer traurigen Zeit, die in ihm tiefe Wunden hinterlassen hatte. Chrissy spielte vor Gericht die unschuldige, arme Ehefrau, aber der Richter durchschaute sie und sie verlor. Sven konnte
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