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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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lächelt.«
    Michael senkte die Rechte auf die Harfe und klampfte die
berühmte Zithermelodie aus dem Film Der dritte Mann. »Wo-wo sind wir?«
    »Bei den Hebriden.«
    »In der Nähe von Kvitöi?«
    »Kvitöi ist zweitausend Seemeilen entfernt«, gab
der Geistliche zu.
    »Also kann ich nicht einmal noch sein Grab
besuchen.«
    »Auch das ist leider wahr.« Der Engel glühte
dermaßen vor Fieber, daß Thomas die Hitze auf den Wangen
spürte. »Eine prachtvolle Ruhestätte haben Sie ihm
geschaffen.«
    »Ja, nicht wahr? Sie mit seinen Meisterwerken
auszuschmücken, war meine Idee. Wal, Orchidee. Sperling,
Kobra… Über der Frage, was alles dazugehört, haben wir
uns schwer den Kopf zermartert. Adabiel hat sich nachdrücklich
für Erfindungen der Menschheit starkgemacht… Mit dem
Argument, sie seien Nebenprodukte seiner Schöpfung. Rad, Pflug,
Videorecorder, Cembalo, Fußball… Wir waren alle
große Fans von Galatasarai Istanbul. Aber schließlich hat
Zaphiel angeführt, dann mußte auch eine
Dreihundertsechsundfünfziger Magnum dabei sein, und da haben wir
lieber auf menschliche Erfindungen verzichtet.«
    Die schummrige Kabine eines wracken Frachters mitten auf der
kahlen Nordsee: schwerlich der naheliegendste Ort für eine
Offenbarung, und doch hatte der Jesuit Professor Thomas Wickliff
Ockham genau in diesem Augenblick das Gefühl der Erleuchtung,
des blitzartigen Erkennens einer Wahrheit, das seine Sterblichenseele
erhellte.
    »Etwa möchte ich gern wissen«, sagte er. »Hat
Gott Sie eigentlich mit dem Bau der Kvitöier Gruft beauftragt? Hat er Sie zusammengerufen und gesagt:
›Bestattet mich in der Arktis?‹«
    Michael erlitt einen heftigen Hustenanfall, besprengte Campins Verkündigung mit Bluttröpfchen. »Wir haben
über den Rand des Himmels hinabgeschaut… seinen Leichnam
vor der Küste von Gabun treiben sehen. Da haben wir uns gesagt:
Es muß etwas geschehen.«
    »Ich möchte unmißverständliche Klarheit. Er
hat Sie mit keiner Beisetzung betraut?«
    »Wir hatten den Eindruck«, lautete die Antwort des
Erzengels, »daß es sich anstandshalber so
gehört.«
    »Aber er hat Ihnen dazu keinen Auftrag erteilt?«
    »Nein.«
    »Also könnte er, als er seine Leiche zur Erde geschickt
hat, etwas ganz anderes als eine Bestattung im Sinn gehabt
haben?«
    »Möglich.«
    Möglich. Wahrscheinlich. Bestimmt. »Wünschen Sie
die Letzte Ölung?« fragte Thomas. »Salböl ist
keines vorhanden, aber die Maracaibo hat eine Tonne geweihten
Feuerlöschschaums an Bord.«
    Michael schloß die blinden Augen. »Da fällt mir
ein alter Witz ein. ›Wie stellt man Weihwasser her?‹ Kennen
Sie den, Pater?«
    »Nein, nicht.«
    »›Man läßt den Schweiß der Sünder,
die in der Hölle schmoren, durch ’n Britta-Filter
laufen.‹ Letzte Ölung? Nein danke. Die Sakramente haben
keine Bewandtnis mehr. Kaum noch irgend etwas hat eine Bedeutung. Mir
ist es sogar egal, wie Galatasarai Istanbul am Samstag gespielt hat.
Wer hat denn gewonnen?«
    Thomas erfuhr nie, ob Michael die tröstliche Auskunft noch
zur Kenntnis nehmen konnte, denn im gleichen Moment, als der Priester
antwortete – »Ja, Lokomotive Moskau ist geschlagen
worden.« –, verflüssigten sich die Augen des
Erzengels, seine Hände zerschmolzen, sein Oberkörper
zerbröselte wie der Turm von Babel unter der Einwirkung des
grausamen Zorn Gottes.
    Mit aus Ungläubigkeit und Ehrfurcht gemischtem Gefühl
starrte Thomas die Koje an, betrachtete Michaels aschige
Überreste. Endlich zog er das Walkie-talkie aus der
Jackentasche. »Hören Sie mich, Anthony?«
    »Was ist los?« fragte van Horne.
    »Er ist gestorben.«
    »Wundert mich nicht.«
    Der Geistliche strich mit dem Finger durch die weiche, graue
Substanz auf dem Bettzeug. »Kapitän, ich glaube, ich
weiß des Rätsels Lösung.«
    »Ist Ihnen hinsichtlich der Einheitstheorie ’n Licht
aufgegangen?«
    »Ich weiß, warum Gott tot ist. Nicht nur das, ich bin
mir auch darüber im klaren, was wir als nächstes
unternehmen sollten.«
    »Woran ist er gestorben?«
    »Der Fall ist kompliziert. Hören Sie, wir sollten das
Abendessen heute in kleinem Kreis veranstalten. Ich denke an
bloß fünf Personen: Sie, Miriam, di Luca, Ihre Freundin
und meine Wenigkeit.«
    »Es ist ziemlich einerlei, auf welche Hypothese Sie verfallen
sind, ich bezweifle, daß meine Liebste damit einverstanden
ist.«
    »Eben deshalb möchte ich sie anwesend sehen. Wenn ich
Cassie Fowler dazu überreden kann, den Corpus Dei zu
exhumieren, dann gelingt’s mir auch

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