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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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wie eine Zeder, die
Sehnen seiner Schenkel sind straff verflochten. Seine Knochen sind
wie eherne Röhren und seine Gebeine wie
Eisenbarren…‹« Indem sie sich um neunzig Grad drehte,
wandte sich Cassie direkt an den Corpus Dei. »Was soll
ich dazu sagen, Gott? Ich bin Rationalistin. Ich bezweifle, daß
die Protzigkeit des Flußpferds irgendeine Entschädigung
für die Leiden der Menschen sein kann. Ich weiß kaum, wo
ich anfangen könnte, um sie zu schildern. Mit dem Erdbeben von
Lissabon? Der Pest in London? Bösartigen Melanomen?« Sie
stöhnte in einer Mischung aus Resignation und Mißmut.
»Und trotzdem bist du während all dessen du geblieben. Ist
es nicht so? Du hast die Funktion des Schöpfers erfüllt und
erstaunlich gute Arbeit geleistet, als die Erde von dir
›gegründet‹ und ›ihre Sockel eingesenkt‹
worden sind. Du warst wahrlich kein feiner Kerl, Gott, aber ein
begabter Tüftler, und dafür statte sogar ich dir meinen
Dank ab. Danke, Gott.«
    Pater Ockham erhielt das Mikrofon und die Jerusalemer Bibel
zurück und vollzog den Rest der abgewandelten Liturgie.
»Bevor wir unserer Wege gehen, laßt uns von unserem
Schöpfer Abschied nehmen. Möge unser Lebewohl ihm ein Pfand
unserer Liebe sein. Möge es unsere Trauer lindern und unsere
Hoffnung bestärken. Nun sprecht mit mir die Worte, die Christus
auf dem Berg in Judäa gelehrt hat: ›Vater unser, der du
bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich
komme…‹«
    Während Offiziere und Besatzung der Maracaibo beteten,
betrachtete Cassie den Corpus Dei und sein verewigtes
Lächeln, sann über die vielfältigen Mißgeschicke
nach, die ihn getroffen hatten. Auf seiner letzten Reise war es Gott
reichlich übel ergangen. Nahezu ein Sechstel der rechten Brust
hatte er für Filets hergeben müssen. Durch Sprengbomben
hinterlassene Trichter zerkraterten den Bauch. Im Hals klafften von
Torpedos gerissene Wunden. Das Kinn sah aus, als wäre er mit dem
Flammenwerfer rasiert worden. Zwischen Kopf und Füßen
wechselten sich von Raubtieren zugefügte Bisse mit Erfrierungen
und großen, fauligen Stellen fortgeschrittener Verwesung ab.
Sollte zufällig ein Marsianer die Totenfeier beobachten,
läge ihm wahrscheinlich die Schlußfolgerung, daß
diese Trauergemeinde hier ihre bis dato bedeutendste Gottheit
bestattete, gänzlich fern.
    »…die Macht und die Herrlichkeit. Amen.«
    Lou Chickering trat aus den Reihen der Versammelten und schritt
über den Kai; in seinen Augen glitzerten Tränen. Cassie
entsann sich der vielen Male, daß sie aus dem
Maschinenleitstand seine einschmeichelnde Baritonstimme
heraufklingen, einen Monolog rezitieren oder eine Arie schmettern
gehört hatte. Am Rande des von Eiswällen umschlossenen Kais
neigte der glänzend aussehende Seemann den Kopf in den Nacken
und sang.
     
»Der Glaube ist ein trutzig
Schiff,
drin fahrt sich’s gut gradaus,
und ob die See auch nach uns griff,
und drohten Klippen auch und Riff,
wir fahren doch nach Haus…«
     
    In diesem Moment fielen alle Anwesenden in das Lied ein, über
hundert Stimmen verschmolzen zu einem Donnerhall, der aus den
Höhen des riesigen Eisgewölbes widertönte.
     
»O Segelsang, o Wimpelspiel
in wilder Sturmesnacht!
Gilt eines nur noch: unser Ziel!
Wie mancher schon im Wetter fiel,
weil er an andres dacht…«
     
    »Also gut, Professor Ockham, von mir aus geht’s nach
Ihrer Nase«, sagte di Luca, strich seine Stola glatt. »Es
hat wohl so sein sollen, wie?«
    »Ich glaube, ja.«
     
»Ob grau der Tag und Wolke zieht,
scharf drängt der Bug ins Meer.
Nur Mut, was immer auch geschieht,
wir fahren ja auf Gottes Gut,
und wenn’s im Ärgsten wär…«
     
    »Heute abend setze ich ein Fax auf.« Der Kardinal lehnte
sich auf die Steuerhausreling. »Ich schreibe, der Leichnam sei
verbrannt worden, wie’s die Kardinalsversammlung wünschte,
und schicke das Fax nach Rom… Falls van Horne es
erlaubt.«
    »Sparen Sie sich den Aufwand«, riet Pater Thomas.
»Genau diese Nachricht haben Sie dem Heiligen Vater schon vor
drei Stunden geschickt.«
    »Was?«
    »Ich halte von funktionaler Ethik so wenig wie Sie, di Luca,
aber wir leben in schweren Zeiten. Ihre Unterschrift ist leicht zu
fälschen. Sie haben eine sorgfältige, saubere Schrift.
Offenbar ist Ihnen von den Nonnen ausgezeichneter Unterricht erteilt
worden.«
     
»Und legen wir am Ufer an
und ziehn das Schiff aufs Land…«
     
    Cassie blieb sich darin unsicher, was an diesem Wortwechsel sie
mehr echauffierte: Pater

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