Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
ziehen und zerren wie es wollte, es schnitt sich nur den Faden in den weichen Hals. „Warte da, so lange bis ich wiederkomme“, sprach der Spielmann und ging weiter.
Der Wolf indessen hatte gerückt, gezogen, an dem Stein gebissen, und so lange gearbeitet, bis er die Pfoten frei gemacht und wieder aus der Spalte gezogen hatte. Voll Zorn und Wut eilte er hinter dem Spielmann her und wollte ihn zerreißen. Als ihn der Fuchs laufen sah, fing er an zu jammern, und schrie aus Leibeskräften „Bruder Wolf, komm mir zur Hilfe, der Spielmann hat mich betrogen.“ Der Wolf zog die Bäumchen herab, biss die Schnüre entzwei und machte den Fuchs frei, der mit ihm ging und an dem Spielmann Rache nehmen wollte. Sie fanden das gebundene Häschen, das sie ebenfalls erlösten, und dann suchten alle zusammen ihren Feind auf.
Der Spielmann hatte auf seinem Weg abermals seine Fidel erklingen lassen, und diesmal war er glücklicher gewesen. Die Töne drangen zu den Ohren eines armen Holzhauers, der alsbald, er mochte wollen oder nicht, von der Arbeit abließ, und mit dem Beil unter dem Arme heran kam, um die Musik zu hören. „Endlich kommt doch der rechte Geselle“, sagte der Spielmann, „denn einen Menschen suchte ich und keine wilden Tiere.“ Und fing an und spielte so schön und lieblich, dass der arme Mann wie bezaubert da stand, und ihm das Herz vor Freude aufging. Und wie er so stand, kamen der Wolf, der Fuchs und das Häslein heran, und er merkte wohl, dass sie etwas Böses im Schilde führten. Da erhob er seine blinkende Axt und stellte sich vor den Spielmann, als wollte er sagen „wer an ihn will, der hüte sich, der hat es mit mir zu tun.“ Da ward den Tieren Angst und liefen in den Wald zurück, der Spielmann aber spielte dem Manne noch eins zum Dank und zog dann weiter.
Die zwölf Brüder
Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden mit einander und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau „wenn das dreizehnte Kind, was du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichtum groß wird und das Königreich ihm allein zufällt.“ Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Totenkissen, und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, dann gab er der Königin den Schlüssel und gebot ihr niemand etwas davon zu sagen.
Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und trauerte, so dass der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach „liebe Mutter, warum bist du so traurig?“ „Liebstes Kind“, antwortete sie, „ich darf dirs nicht sagen.“ Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie ging und die Stube aufschloss, und ihm die zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Totenlaken zeigte. Darauf sprach sie „mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesammt getötet und darin begraben werden.“ Und als sie weinte, während sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte „weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns schon helfen und wollen fortgehen.“ Sie aber sprach „geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht und schaue nach dem Turm hier im Schloss. Gebär ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann dürft ihr wiederkommen; gebär ich ein Töchterlein, so will ich eine rote Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht will ich aufstehen und für euch beten, im Winter, dass ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, dass ihr nicht in der Hitze schmachtet.“
Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, gingen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der höchsten Eiche und schauete nach dem Turm. Als elf Tage herum waren und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde: es war aber nicht die weiße, sondern die rote Blutfahne, die verkündigte, dass sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das hörten, wurden sie zornig und sprachen „sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden! Wir schwören, dass wir uns rächen wollen: Wo wir ein Mädchen finden, soll sein rotes Blut fließen.“
Darauf gingen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten
Weitere Kostenlose Bücher