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Das Haidedorf

Das Haidedorf

Titel: Das Haidedorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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lustig, und wußte sich oft nicht zu halten vor Frohsinn. Von seinem Königssitze aus herrschte er über die Haide. Teils durchzog er sie weit und breit, teils saß er hoch oben auf der Platte oder Rednerbühne, und so weit das Auge gehen konnte, so weit ging die Fantasie mit, oder sie ging noch weiter, und überspann die ganze Fernsicht mit einem Fadennetze von Gedanken und Einbildungen, und je länger er saß, desto dichter kamen sie, so daß er oft am Ende selbst ohnmächtig unter dem Netze steckte. Furcht der Einsamkeit kannte er nicht; ja, wenn recht weit und breit kein menschliches Wesen zu erspähen war, und nichts, als die heiße Mittagsluft längs der ganzen Haide zitterte, dann kam erst recht das ganze Gewimmel seiner innern Gestalten daher, und bevölkerte die Haide. Nicht selten stieg er dann auf die Steinplatte, und hielt sofort eine Predigt und Rede - unten standen die Könige und Richter, und das Volk und die Heerführer, und Kinder und Kindskinder, zahlreich, wie der Sand am Meere; er predigte Buße und Bekehrung - und Alle lauschten auf ihn; er beschrieb ihnen das gelobte Land, verhieß, daß sie Heldenthaten thun würden, und wünschte zuletzt nichts sehnlicher, als daß er auch noch ein Wunder zu wirken vermöchte. Dann stieg er hernieder und führte sie an, in die fernsten und entlegensten Theile der Haide, wohin er wohl eine Viertelstunde zu gehen hatte - zeigte ihnen nun das ganze Land der Väter, und nahm es ein mit der Schärfe des Schwertes. Dann wurde es unter die Stämme ausgetheilt, und jedem das Seinige zur Vertheidigung angewiesen.
    Oder er baute Babilon, eine furchtbare und weitläufige Stadt - er baute sie aus den kleinen Steinen des Roßberges, und verkündete den Heuschrecken und Käfern, daß hier ein gewaltiges Reich entstehe, das Niemand überwinden kann, als Cyrus, der morgen oder übermorgen kommen werde, den gottlosen König Balsazar zu züchtigen, wie es ja Daniel längst vorher gesagt hat.
    Oder er grub den Jordan ab, d. i. den Bach, der von der Quelle floß, und leitete ihn anderer Wege - oder er that das alles nicht, sondern entschlief auf der offenen Fläche, und ließ über sich einen bunten Teppich der Träume weben. Die Sonne sah ihn an, und lockte auf die schlummernden Wangen eine Röthe, so schön und so gesund, wie an gezeitigten Aepfeln, oder so reif, und kräftig, wie an der Lichtseite vollkörniger Haselnüsse, und wenn sie endlich gar die hellen großen Tropfen auf seine Stirne gezogen hatte, dann erbarmte ihr der Knabe und sie weckte ihn mit einem heißen Kusse.
    So lebte er nun manchen Tag und manches Jahr auf der Haide, und wurde größer und stärker, und in das Herz kamen tiefere, dunklere und stillere Gewalten, und es ward ihm wehe und sehnsüchtig - und er wußte nicht, wie ihm geschah. Seine Erziehung hatte er vollendet, und was die Haide geben konnte, das hatte sie gegeben; der reife Geist schmachtete nun nach seinem Brote, dem
Wissen
, und das Herz nach seinem Weine, der
Liebe
. Sein Auge ging über die fernen Duftstreifen des Moores, und noch weiter hinaus, als müsse dort draußen etwas sein, was ihm fehle, und als müsse er eines Tages seine Lenden gürten, den Stab nehmen, und weit, weit von seiner Heerde gehen.
    Die Wiese, die Blumen, das Feld und seine Aehren, der Wald und seine unschuldigen Thierchen sind die ersten und natürlichen Gespielen und Erzieher des Kinderherzens. Ueberlaß den kleinen Engel nur seinem eigenen innern Gotte, und halte bloß die Dämonen ferne, und er wird sich wunderbar erziehen und vorbereiten. Dann, wenn das fruchtbare Herz hungert nach Wissen und Gefühlen, dann schließ ihm die Größe der Welt, des Menschen und Gottes auf.
    Und somit laßt uns Abschied nehmen von dem Knaben auf der Haide.
     

2. Das Haidehaus.
     
    Eine gute Wegestunde von dem Roßberge stand ein Haus, oder vielmehr eine weitläufige Hütte. Sie stand am Rande der Haide weit ab jeder Straße menschlichen Verkehres; sie stand ganz allein, und das Land um sie war selber wieder eine Haide, nur anders, als die, auf der der Knabe die Ziegen hütete. Das Haus war ganz aus Holz, faßte zwei Stuben und ein Hinterstübchen, alles mit mächtigen braunschwarzen Tragebalken, daran manch Festkrüglein hing, mit schönen Trinksprüchen bemalt. Die Fenster, licht und geräumig, sahen auf die Haide, und das Haus war umgeben von dem Stalle, Schoppen und der Scheune. Es war auch ein Gärtlein vor demselben, worin Gemüse wuchs, ein Hollunderstrauch und ein alter

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