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Das Haidedorf

Das Haidedorf

Titel: Das Haidedorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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würde aus den wenigen Blitzen, die noch gelegentlich auffuhren, leicht erkannt haben, daß hier eine Dichtungsfülle ganz ungewöhnlicher Art vorübergelebt worden war, ungekannt von der Umgebung, ungekannt von der Besitzerin, vorübergelebt in dem schlechten Gefäße eines Haidebauerweibes. Ihre gemüthreiche Tochter, die Mutter des Knaben, war nur ein schwaches Abbild derselben. Das alte Weib hatte in ihrem ganzen Leben voll harter Arbeiten nur ein einziges Buch gelesen, die Bibel; aber in diesem Buche las und dichtete sie siebenzig Jahre. Jetzt that sie es zwar nicht mehr, verlangte auch nicht mehr, daß man ihr vorlese; aber ganze Prophetenstellen sagte sie oft laut her, und in ihrem Wesen war Art und Weise jenes Buches ausgeprägt, so daß selbst zuletzt ihre gewöhnliche Redeweise etwas Fremdes und gleichsam Morgenländisches zeigte. Dem Knaben erzählte sie die heiligen Geschichten. Da saß er nun oft an Sonntagnachmittagen gekauert an dem Holunderstrauch - und wenn die Wunder, und die Helden kamen, und die fürchterlichen Schlachten, und die Gottesgerichte - und wenn sich dann die Großmutter in die Begeisterung geredet, und der alte Geist die Ohnmacht seines Körpers überwunden hatte - und wenn sie nun anfing, zurückgesunken in die Tage ihrer Jugend, mit dem welken Munde zärtlich und schwärmerisch zu reden, mit einem Wesen, das er nicht sah, und in Worten, die er nicht verstand, aber tiefergriffen instinktmäßig nachfühlte, und wenn sie um sich alle Helden der Erzählung versammelte, und ihre eigenen Verstorbenen einmischte, und nun alles durcheinander reden ließ: da grauete er sich innerlich entsetzlich ab, und um so mehr, wenn er sie gar nicht mehr verstand - allein er schloß alle Thore seiner Seele weit auf, und ließ den fantastischen Zug eingehen, und nahm des andern Tags das ganze Getümmel mit auf die Haide, wo er alles wieder nachspielte.
    Dieser Großmutter nun wollte er sein Vorhaben deuten, damit sie ihn nicht eines Tages zufällig vermisse, und sich innerlich kränke, als sei er gestorben.
    Und so - an einem frühen Morgen stand er neben den Eltern reisefertig vor der Thür, sein dürftig Linnenkleid an, den breiten Hut auf dem Haupte, den Wachholderstab in der Hand, umgehängt den Haidesack, in welchem zwei Hemden waren und Käse und Brot. Eingenäht in die Brusttasche hatte er das wenige Geld, welches das Haus vermochte.
    Die Großmutter, immer die erste wach, kniete bereits nach ihrer Sitte inmitten der Wiese an ihrem Holzschemel, den sie dahin getragen, und betete. Der Knabe warf einen Blick auf den Haiderand, welcher schwarz den lichten Himmel schnitt - dann trat er zu der Großmutter und sagte: »Liebe Mutter, ich gehe jetzt, lebet wohl und betet für mich!«
    »Kind, Du mußt der Schafe achten, der Thau ist zu früh, und zu kühl.«
    »Nicht auf die Haide gehe ich, Großmutter, sondern weit fort in das Land, um zu lernen und tüchtig zu werden, wie ich es Euch ja gestern Alles gesagt habe.«
    »Ja, Du sagtest es,« erwiederte sie, »Du sagtest es, mein Kind - ich habe Dich mit Schmerzen geboren, aber Dir auch Gaben gegeben, zu werden, wie einer der Propheten und Seher - ziehe mit Gott, aber komme wieder, Jacobus!«
    Jacobus hatte ihr Sohn geheißen, der auch einmal fortgegangen, vor mehr als sechzig Jahren, aber nie wieder zurückgekehrt war.
    »Mutter,« sagte er noch einmal, »gebt mir Eure Hand.«
    Sie gab sie ihm; er schüttelte sie und sagte: »Lebt wohl, lebt wohl.«
    »Amen, Amen« sagte sie, als hörte sie zu beten auf.
    Dann wandte sich der Knabe gegen die Eltern; das Herz war ihm so sehr emporgeschwollen - er sagte nichts, sondern mit eins hing er am Halse der Mutter, und sie, heiß weinend, küßte ihn auf beide Wangen, und schob ihm noch ein Geldstück zu, das sie einst als Pathengeschenk empfangen, und immer aufgehoben hatte, allein er nahm es nicht. Dem Vater reichte er bloß die Hand, weil er sich nicht getraute, ihn zu umarmen. Dieser machte ihm ein Kreuz auf die Stirne, auf den Mund und die Brust, und als hierbei seine rauhe Hand zitterte, und um den harten Mund ein heftiges Zucken ging, da hielt sich der Knabe nicht mehr. Mit einem Thränengusse warf er sich an die Brust des Vaters, und dessen linker Arm umkrampfte ihn eine Secunde, dann ließ er ihn los, und schob ihn wortlos gegen die Haide. Die Mutter aber rief ihn noch einmal, und sagte, er möge doch auch das kleine Schwesterchen gesegnen, die man in ihrem Bettlein ganz vergessen habe. Drei Kreuze machte er

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