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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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er erzählte, und eigentlich langweilte sie mich, ich hatte sie in meinem Bekanntenkreis in allen möglichen Variationen gehört, und das Ende war immer, daß sich einer während einer Einladung bei Freunden auf die Straße stahl und zu einer Prostituierten ging, als würde ihm das alle Revolutionen ersetzen, die er versäumt hatte, oder auf einmal tauchte an seiner Seite ein Mädchen auf, das ihn aus unerfindlichen Gründen anhimmelte, und er glaubte, er könnte mit ihm seine Galgenfrist verlängern.
    Die Neue, die Paul mit seiner sarkastischen Bemerkung gemeint hatte, hieß Helena, und natürlich konnte es nicht so einfach sein, wie es war, und es gab die entsprechenden Anekdoten dazu, die er mir auftischte, als wollte er in einem fort bestätigt haben, wie einzigartig, noch nie dagewesen selbst die lächerlichsten Kleinigkeiten auf mich wirken mußten. Auch ohne Verabredung war es nach unserem ersten längeren Gespräch schnell zur Regel geworden, daß wir uns am Morgen in dem Café trafen, und ich ließ mich darauf ein, manchmal länger bei ihm sitzen zu bleiben, wenn ich nichts Dringendes zu tun hatte, oder folgte seiner Aufforderung, mit ihm weiterzuziehen, und wußte, irgendwann kam er immer auf sie. Einmal gingen wir sogar zum Wasser hinunter, schlenderten am Fischereihafen und an den Landungsbrücken vorbei und gelangten schließlich in die Innenstadt, ohne daß er aufgehört hätte, von ihr zu reden, und vielleicht stimmte es sogar, wenn ich später zu ihr sagte, daß ich mich über der Mischung aus Leichtigkeit und Schwere, die er dabei anschlug, zu guter Letzt für sie zu interessieren begann.
    Offenbar hatte er sie fünfzehn Jahre zuvor zum ersten Mal getroffen und danach nicht mehr gesehen und auch nichts von ihr gehört, außer bei einer Handvoll Telephonate, wenn es ihn in ihre Gegend verschlug. Der Anfang war in seinem Dorf in den Bergen gewesen, und es hatte etwas Rührendes und Lächerliches zugleich, wie er sich jetzt aus den paar Bruchstücken, die er hatte, eine Notwendigkeit zusammenbastelte, eine Bestimmung, wenn schon nicht füreinander geschaffen, so doch schicksalhaft verstrickt zu sein. Dabei war es nicht viel, was er noch wußte, ein Spaziergang im Schnee, ohne daß er zu sagen vermocht hätte, ob sie es war, an die er sich erinnerte, oder eines der anderen Mädchen von damals, mit denen er Hand in Hand durch die Dunkelheit gestapft war, ein Lachen, das in der Kälte verflog, ein paar Sätze, aber auch gesprochen hatte man immer das gleiche, die keuschen Brüste einer Sechzehnjährigen, in einer Dachkammer mit nervösen Fingern entblößt, ihre Traurigkeit, wenn das nicht nur sein absurder Wunschtraum war, um sich verlieben zu können, und daß sie große Füße hatte. Sie mußte mehr davon behalten haben oder behauptete es wenigstens, und wie gebannt von der Möglichkeit, etwas von dem vergangenen Glück zu erhaschen, konnte er jetzt Stunden damit zubringen, sich von ihr die Details wiederholen zu lassen, konnte sie fragen, ob er ihr mit seinen Großspurigkeiten in den Ohren gelegen war, was er alles machen würde, wenn er endlich aus dem Kaff wegkäme, die ganze Welt bereisen oder Schriftsteller werden, als wäre das ein und dasselbe, konnte nachhaken, ob er versucht hatte, sie mit seinem Gerede zu beeindrucken, bis er am Ende immer wissen wollte, ob er so weit gegangen war, ihr seine Liebe zu gestehen, und sie kopfschüttelnd verneinte und lachend herausplatzte, daß er dafür viel zu feig gewesen sei.
    Ich weiß nicht, ob es Zufall war, daß er auf mich verfallen ist, und er sonst jemand anderen gewählt hätte, der sich noch weniger gegen ihn wehrte, ob es an meiner Herkunft lag, die uns für ihn zusammengehörig erscheinen ließ, oder er hatte Zutrauen gefaßt, weil er ahnte, ich war vom gleichen Übel gepackt wie er, von dem Traum, irgendwann einen Roman zu schreiben, der einem das Leben erträglich machen sollte, einen entschädigen, ohne daß ich sagen könnte, wofür.
    Natürlich war es ein Klischee, in jedem Journalisten einen verhinderten Schriftsteller zu sehen, aber mir war es allzu oft passiert, daß einer nach ein paar Gläsern Wein plötzlich damit herausrückte, was ihn eigentlich umtrieb, und ich mir gerade noch einmal auf die Lippen beißen konnte, erleichtert, nicht selbst damit angefangen zu haben, bis ich mich auch mit Paul in einem Gespräch wiederfand, bei dem wir uns über die vielen verkannten Genies in den Redaktionen ausließen.
    Das war am Morgen, nachdem ich

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