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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Wenn ich jetzt auf meine Karte mit den albanischen Begriffen schaue, die ich mir in der Universitätsbibliothek kopiert habe, und auf Ortsnamen wie Krusha e Madhe, Hoça e Vogël oder Malisheva stoße, könnten das genauso gut Zahlwörter sein und ihre Bedeutung, hier so und so, hier so, hier weiß der Teufel wie viele Menschen ermordet.
    Das alles war an dem Tag aber kein Thema, kam Paul doch immer wieder auf Allmayer zu sprechen und versuchte, das Wenige, das in den Zeitungen stand, zu ordnen, die Bruchstücke über den Anschlag auf ihn und seinen Begleiter, den ihm zugeteilten Photographen, der mit einem Oberschenkeldurchschuß davongekommen war.
    »Es will mir nicht in den Schädel, warum das ausgerechnet zwei so erfahrenen Leuten passiert ist«, konnte er von einem Augenblick auf den anderen loslegen. »Sie müssen auf dem Weg vom Kosovo zurück nach Skopje gewesen sein, als sie unterhalb einer Paßhöhe auf eine Straßenblockade gestoßen sind.«
    Die beiden waren offenbar aus ihrem Auto gesprungen und beim Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, ins Sperrfeuer geraten, und er sprach davon wie ein Fachmann, geradeso, als hätte er mehr als nur das, was er gelesen hatte, parat, oder es lag an mir und meinem Schweigen, daß er wieder und wieder damit begann.
    »Angeblich sind sie im Laufen von hinten getroffen worden«, sagte er. »Es hätte wahrscheinlich auch nichts genützt, aber es ist doch verwunderlich, daß ihr Wagen nicht gepanzert war und sie keine kugelsicheren Westen getragen haben.«
    Obwohl die Straße bereits freigegeben worden war, mußte es in der Gegend immer noch zu Schießereien gekommen sein, hatten sich Gerüchte über marodierende Truppen verbreitet und lag sie darüber hinaus am Rand einer Abzugszone, aus der sich die letzten regierungstreuen Einheiten erst ein paar Tage später entfernen sollten, war der Stand seines Wissens, und er geriet richtiggehend ins Dozieren, als er es vor mir ausbreitete, um sich zu guter Letzt nur selbst zu unterbrechen.
    »Das ist alles nicht wichtig.«
    Ich schaute an ihm vorbei, während er nach meiner Tasse griff und, ohne daß ihm das aufgefallen wäre, den Kaffee verschüttete, und war mir sicher, es konnte nicht auf Effekt angelegt sein, als er wiederholte, daß Allmayer noch ein paar Stunden gelebt haben muß. Ihn von dessen Kampf reden zu hören, allein schon das Wort, schnürte mir die Kehle zu, denn die Art, wie er die Vergeblichkeit beklagte, hatte nichts Theatralisches. Ein Ärzteteam, das an der Unglücksstelle aufgetaucht war und nach der Logik noch des dümmsten Drehbuchs rechtzeitig gekommen wäre, wie er sagte, die Notversorgung am Straßenrand, der Transport mit einem Hubschrauber in ein Lazarett in Makedonien, über all das sprach er, als machte es das Ende um so sinnloser, als hätte es bereits lange davor festgestanden, und deshalb würden die Bemühungen nur zynisch wirken, die Frage, durch welchen Zufall man ihn überhaupt so schnell gefunden hatte, wie ein Schlag ins Gesicht, oder daß eine belgische Krankenschwester keinen Augenblick von seiner Seite gewichen war, wenn man den Berichten glauben durfte.
    Das klang nach dem alten Vorurteil, daß man den Balkan nehmen sollte, wie er war, die Katastrophen dort als etwas Naturgegebenes, wenn keine Erklärung mehr ausreichte, und ich weiß nicht, warum, aber auf einmal erinnerte ich mich daran, daß ich als Student mit einer Freundin im Auto nach Griechenland gefahren war. Mir fiel ihre Aufgeregtheit wieder ein, die ganze Strecke entlang der Küste, von Rijeka bis irgendwo hinter Kotor, eine künstliche Aufgeregtheit, in der sie ein weißes Band an der Antenne befestigt hatte, als wären wir eines dieser bekenntniswütigen Paare auf Flitterwochen, eine Kinderei, und meine anhaltende Beklommenheit, die ich nicht mehr zu erklären vermag. Ein Bild hatte sich mir eingegraben, eine schlecht beleuchtete Hotelterrasse, so viel kann ich sagen, schmalzige Musik aus scheppernden Lautsprechern, und wir die einzigen Gäste, von einem Trupp Kellnerinnen nicht aus den Augen gelassen, die in ihren Gesundheitsschuhen wie die Wärterinnen einer geschlossenen Anstalt wirkten, eine Vorstellung, die mir später immer als triftig erschien, von der ich damals aber kaum ahnte, welchen Hintergrund es dafür gab.
    Etwa das dürfte ich auch Paul erzählt haben, und während er mich nur ansah, als wunderte er sich, wie ich darauf kam, bemühte ich mich, umgänglich zu sein, indem ich noch einmal von der Unglücksstelle

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